2016 ist 13 eine Glückszahl

Neujahr, Katerstimmung. Was soll man dagegen tun? Genau! Direkt wieder an ein Konzert. Wie schon letztes Jahr veranstaltete die Schüür in Luzern wieder eine Neujahrs-Singer/Songwriter-Nacht und setzte dieses Jahr noch eine Nacht drauf.

Mala (Foto: Sacha Saxer)
Mala (Foto: Sacha Saxer)

Die Silvesternacht steckte noch in den Knochen und eigentlich wäre eine Massage jetzt viel angebrachter gewesen als ein Konzertbesuch. Doch wenn einem die Schüür gleich ganze dreizehn lokale Singer/Songwriter präsentieren will, sagt man nicht Nein und so reiste ich wie auch schon im Vorjahr nach Luzern, um mich musikalisch überraschen zu lassen. War es 2015 noch ein einzelner Abend, so durfte man seine Ohren dieses Jahr gleich an zwei Abenden verwöhnen lassen.

Spotschecht – an die Luzerner Unsitte, Vokale grundsätzlich falsch anzuwenden, werde ich mich nie gewöhnen – lieferte grundsympathisch verpackte, wenn auch leicht verpeilt anmutende Freestyle Singer/Songwriter Arbeit ab. Eine kräftige Ladung Sozialkritik mitten auf die Schnauze, wohl genau so, wie er es wollte. Nicht die leichteste Kost, aber ein Künstler, den man auf jeden Fall in Auge behalten sollte.

Mit seinen siebzehn Jahren war Matteo Gisler der jüngste Künstler an diesem Wochenende. Obwohl er erst seit einem guten halben Jahr auf der Bühne steht, hat er letzten Dezember schon seine erste EP Going Nowhere veröffentlicht und trotz seines jungen Alters besitzen seine Texte sehr viel Tiefgang.

Ishantu hatte ich letztes Jahr als Vorgruppe von 77 Bombay Street gesehen und war damals schon von ihr fasziniert. Entsprechend gross war die Vorfreude auf ihren Auftritt am Freitag, den sie solo bestritt. Wie schon im Volkshaus probierte sie die Zuhörer zum Mitsingen bei Rolling Down the River zu bewegen, was hier weit besser klappte. Praktisch alle sangen mit, in Zürich waren es gefühlt weniger, obwohl es dort weit mehr Besucher hatte. Zum Abschluss lud sie noch ihren Kollegen Domi auf die Bühne um zu zweit das Resultat einer ihrer Jam-Sessions zu präsentieren.

Funky Blues und Country-Klänge waren danach an der Reihe. Pink Spider sang mit rauer, heiserer Stimme, die gut zu den Songs passte und alleine wegen ihrem speziellen Gitarrenspiel lohnte sich der Besuch in der Schüür. Einzig die beiden letzten Songs, die sie mit dem Keyboard begleitete, hätte sie sich besser geschenkt, denn das Keyboard klang wie ein gequälter GameBoy und harmonierte überhaupt nicht mit ihrer Stimme. Schade.

Mi Delicious B. stand das einzige Duo am ersten Abend auf der Bühne. Durch die beiden Gitarren bekam die Musik mehr klangliche Tiefe, welche Monika mit ihrem Gesang leider nicht wirklich zu komplettieren vermochte. Dafür stellte sich Claudio als bester Gitarrenspieler des Abends heraus. Das Solo auf der 12-Saiter war einfach nur traumhaft und man hätte sich gerne noch ein zweites gegönnt.

Das Beste kommt bekanntlich zum Schluss und auch am Freitag traf dies zu. Mala war die mit Abstand stärkste Sängerin des Abends. Ihre folkigen Songs wurden von ihrer klaren Stimme perfekt transportiert – egal ob in Englischer Sprache oder Mundart. Das war mit Sicherheit nicht mein letzter Besuch bei Mala und auch beim restlichen Publikum kam sie so gut an, dass sie noch eine Zugabe zum Besten geben musste. Wunderbarer Abschluss eines grossartigen Abends.

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Am Samstag war die Schüür dann deutlich voller. Offensichtlich waren am Freitag einige Leute noch zu verkatert, um sich schon wieder ein Konzert zu gönnen. Ein Teil der Besucher des Samstags hatte allerdings jeglichen Anstand im alten Jahr vergessen, anders konnte man sich das permanente Gelaber im hinteren bis mittleren Teil des Raumes nicht erklären. Mehr als einem Gast wurde so der Konzertgenuss vermiest und auch die Musiker waren davon nicht erfreut. Solche Leute gehören konsequent des Saales verwiesen.

Philipp Leon startete den zweiten Abend und sorgten auch gleich für die erste Überraschung: Neben Philipp Leon Fankhauser an der Gitarre stand Roger Konrad mit Posaune und Horn auf der Bühne. An diesem Abend leider nicht dabei: Annika Dobler am Cello. Durch die Posaune erhielt die Musik einen Jazz-Einschlag, was zusammen mit Philipp Leons weicher, gefühlvoller Stimme, die mich an Levin erinnerte, eine sehr spannende Kombination ergab. Eines des Highlights des Auftritts war die instrumentale Version von Dancing in the Rain.

Wenn jemand an diesem Wochenende Heimvorteil hatte, dann war das Eli Van Der Bar. Wie auch schon letztes Jahr (Negative White berichtete) konnte sie eine grosse Schar regelmässiger Schüürbesucher aufbieten und auch die meisten anderen konnte sie mit ihrem sympathischen Auftreten sofort für sich gewinnen. Ausser eben die oben besagten Dauerredner. Ganz offensichtlich fühlte sich auch Eli davon gestört, aber ihr Aufruf zu mehr Ruhe war für diese Klientel wohl leider zu subtil.

Daniel Korber startete mit einem zeitgenössischen und sozialkritischen Song, bei welchem aber auch der Humor nicht zu kurz kam, in sein Set. Seine Mundart-Lieder widerspiegeln den Schalk, den man in seinen Augen sieht und so wunderte es auch nicht, dass er die Störenfriede direkt ansprach: «Für die dort hinten in der Ecke, ich bin hier am Arbeiten.», was zumindest in den vorderen Reihen für einige Lacher sorgte. Genützt hatte es aber natürlich auch nichts.

Mit Feather & Stone standen danach die nächsten Spassvögel auf der Bühne, die wie Eli Van Der Bar auch letztes Jahr schon an der Singer/Songwriter-Nacht aufgetreten waren. Mittlerweile haben sich Michael und Joel mit Helen an der Violine weibliche Verstärkung ins Boot geholt, was sich als sehr gute Entscheidung herausstellte. Anfänglich war ihre Musik etwas derbe Kost nach den lockeren Songs von Daniel Korber, doch mit der herrlichen Folknote gegen Mitte des Sets kriegten sie die musikalische Kurve. Die Violine entpuppte sich diesbezüglich als unglaubliche Bereicherung. Hinter dem Mikrofon schien sich Helen allerdings nicht wirklich wohl zu fühlen. Hoffentlich haben Michael und Joel ein Einsehen und quälen sie nicht weiter damit. Oder sie verliert ihre Scheu, denn ihre Stimme klang besser als sie es wohl befürchtete. Auch dieses Jahr zeigten Feature & Stone wieder, dass sie neben Musikern auch noch herrliche Entertainer sind. Besonders, als sich Joel trocken ans Publikum wandte: «Das ist jetzt aber ein saublöder Zeitpunkt, um ein Gespräch mit Helen zu führen.»

Bei Sleepyhouse störte das Gerede am stärksten, da seine Musik wunderschön melancholisch verträumt war und an einen lauen Sommerabend am Zürichsee erinnerte. Die warme Stimme verfügte über eine schöne Rauheit, kam aber nicht an jene von Bob Spring heran. Ein Künstler, den ich mir gerne nochmals in einem kleineren Rahmen anhören möchte, wo ich mir dann auch primär die Musik und nicht die Banalitäten der Besucher anhören kann.

Mit Glauco Cataldo kam danach ein spezielles Duo auf die Bühne. Sein Bruder Fabio Meier begleitete Glauco an der Kalebasse – wer das Perkussionsinstrument noch nie gesehen hat: Sieht in etwa so aus, wie ein missglückter Dalek. Glaucos Stimme war anfänglich etwas zu schwach abgemischt, was sehr schade war, da bei seiner Musik die Stimme oft einfach nur als weiteres Instrument eingesetzt wird und gar keinen wirklichen Text singt. «Das sollte einfach irgendwie afrikanisch klingen.», meinte Glauco nach einem Song und tatsächlich war dies die erste Assoziation, die ich zum Gesang hatte. Den Abschluss machte er dann mit einem senegalesischen Lied. Für Freunde von World Music ein Künstler, den man ganz weit oben auf die Must-See-Liste stellen muss.

Und auch am Samstag war es wieder der letzte Act, der mich restlos begeisterte. Of Queens and Rats, das sind Nicole Kammermann am Gesang und Philipe Burrell am Gesang und Gitarre, wussten erst seit dem 29. Dezember, dass sie ihr altes Projekt wiederbeleben wollten und an der Singer/Songwriter-Nacht auftreten würden. Die beiden Namen alleine würden eigentlich reichen als Review ihres Auftritts. Nicoles Hammerstimme wurde souverän unterstützt von Philipes dreckigem, rotzigem Gitarrenspiel. Beide lieferten einen grandiosen Druck auf ihren Stimmen und der Gitarre und Philipe turnte auf dem Stuhl herum, als ob er sein letztes Konzert spielen durfte. Eine solche Energie hatte ich bis jetzt selten an einem Akustikkonzert erleben dürfen.
Während dem Stimmen seiner Gitarre zerriss es Philipe eine Saite, worauf Eli ihm ihre Gitarre auslieh, damit der Auftritt flott weitergehen konnte. Sein Kommentar: «Hey, endlich mal eine gute Gitarre. Das hätte ich schon früher machen sollen.» Spielspass pur.
Das Enjoy the Silence Cover sorgte für Gänsehaut und mit dem grossartigen White Boys Cover zum Schluss verabschiedeten sich die beiden und sorgten für einen gelungenen Abschluss dieser beiden Abende. Besser hätte die Schüür das neue Jahr nicht starten können.

Fotos: Sacha Saxer