Ein Samstagabend mit Post-Rock-Überdosis

Ohne Falafel: Der Samstag am Bergmal Festival 2019

Bild: zvg

Die vierte Ausgabe des Bergmal Festivals ging vergangenes Wochenende im Dynamo von statten. Zwei Tage voller reverbüberladener Bands, epischen Post-Rock-Hymnen, sphärischen Riffs und einfahrender Soundexperimente. Wir waren dabei und haben unsere Highlights des Samstags festgehalten.

Post-Rock is way more than a term of genre. Post-Rock is an attitude that inspires endless and eternal enthusiasm: it’s about experimenting, about exploring textures and structures; about shifting the boundaries of traditional rock instruments and the song elements. With the bergmal Festival, we want to create a platform for the almost endless spectrum of experimental rock music.

Aus dem Programmheft des Bergmal Festivals

Zur vierten Ausgabe des Bergmal Festivals gab es wie im letzten Jahr ein zweitätiges Spektakel, um internationale wie nationale Acts der Post- und Experimental Rock Szene zu entdecken.

Während man am Freitagabend mit den kosmisch und bleischweren Klängen von Monkey3, Telepathy, Krane und Forlet Sires bedient wurde, gab es am Samstag ganze dreizehn Bands zu bestaunen. Nebst den Konzerten auf der grossen Roof Stage hatte man die Qual der Wahl für die Entscheidungen der beiden kleineren Bühnen, bei welchen zwei Konzerte gleichzeitig stattfanden: Shipwrecks oder Kolours? E-L-R oder Echolot? Spurv oder Some Became Hollow Tubes? Tides Of Man oder Nadja?

Da bereits im Vorverkauf des Festivals die meisten Eintritte weggingen wie warme Semmel, sprach alles dafür, früh an den Konzerten zu sein um einen passablen Platz zu ergattern. Entscheidungen mussten getroffen werden, das Treppensteigen frühzeitig in Angriff genommen, das Bier nach der Erfrischung danach gekauft und die Toilettenstops minutiös eingeplant werden. Hier also die Highlights des Samstags.

A Burial At Sea

Kenner wissen, dass der Spass bereits früh beginnt. Um 16 Uhr befindet sich eine Handvoll Zuschauerinnen und Zuschauer in der Cellar Stage, um die ersten Gänsehaut-Momente des Samstages nicht zu verpassen. Das Quartett aus Liverpool beschlagnahmt die Bühne für sich und beginnt mit surrenden und hallenden Gitarren den Konzertabend.

Über die sphärischen Ambient-Klänge serviert das Schlagzeug einen antreibenden Rhythmus, bittersüsse Melodien der Gitarren erklingen, darüber liefert eine Trompete sanft eine andächtige Hymne. Schon ist er da, der er erste Gänsehaut-Moment.

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Dann der erste Lärmschwall, der Schlagzeuger haut ordentlich in die Becken, die Gitarren trotzen nur so von Verzerrung. Die Besucherinnen und Besucher scheinen sich ganz in den galaktischen Gitarrenklängen verloren zu haben. Der erste Song vorüber, man wird aus den Träumen gerissen und zollt Applaus.

Mit der Zeit entpuppt sich die Band als gute geölte Groove-Maschinerie, die Band scheint wie der Math-Rock-Wolf im Schafspelz. Bissige Gitarren bringen erste Riffs an den Tag, der Schlagzeuger vermag mit ordentlich Drive gleichzeitig die Nacken der Besucherinnen und Besucher in Schwung zu bringen. Elektrisierende Komplexität kommen zum Vorschein, Polyrhythmen machen das Headbangen schwierig. Über flächigen Post- zu preschendem Math-Rock, ein Glanzkonzert für den Start des zweiten Festivaltages.

HOLM

Auf der Hauptbühne liess man sich danach nur zu gerne von HOLM beschallen. Das Zürcher Trio wusste mit dröhnend rotierendem Basslauf, hallenden Gitarren und treibendem Beat repetitive Klangmantren aus den Amps zu locken.

Colored Dark, minutenlang anhaltende Trance, eine hypnotische Gitarre umklammert einen und lässt nicht locker.

Die Band, welche nicht unweit vom Zürcher Paradeplatz in einem Keller probt, durfte am Bergmal eine Art Heimspiel geniessen und liess mit einem höchstdosiertem Post-Rock-Gebräu das Publikum sedieren. Ein jeder in seinem kleinen persönlichen Rave in seiner Wohlfühlzone, umgarnt von einfahrenden Klängen und heimsuchendem Ambient.

Shipwrecks

Was soll man dazu sagen? Für mich das gleiche Erlebnis, als ich zum ersten Mal Leech live gesehen habe. Baff und sprachlos, verloren und gefunden. Shipwrecks liefern um 17:30 Uhr in der Cellar Stage mein persönliches Highlight der diesjährigen Ausgabe.

Zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug reichen aus, eine idyllisch-fragile Soundlandschaft zu erschaffen und diese minutiös mit krachendem Gepolter und verzerrter Melancholie niederzutrümmern. Eine Ode an den Post Rock. Man driftet ab in melancholische Weiten, ehe man sich in der verzerrten Schönheit der Gitarren wiederfindet. Ein Traum von Konzert. So schön es war, so schwierig ist es zu beschreiben. Pure Nostalige mit andauernder Gänsehaut als Begleitungerscheinung.

Echolot

Sag diese drei Wörter und ich gehöre dir: Progressive Stoner Doom. Da muss man hin, keine Frage. Echolot kommen aus Basel und halten was sie versprechen. Das Schlagzeug wird taktiert, mit wummerndem Bass und zähnefletschender Gitarre wird der Nacken in Mitleidenschaft gezogen. Schleppende Riffs treffen auf brüllenden Gesang, derweil tauchen psychedelische Filmsequenzen den Hintergrund in farbenfrohes Licht. Ein Trip für Augen und Ohren.

Das Trio weiss mit spannendem und abwechslungsreichem Songwriting das Publikum in die zerstörerischen Welten des Stoner in die Abgründe des Dooms zu begleiten, immer mit einem Hauch Psychedelic im Nachgeschmack. Ob Space Trucking oder begraben unter der Rifflawine, man fühlt sich geborgen in der schleppend vertonten Manie.

Tides From Nebula

Der erste Headliner des Abends weiss nicht nur mit seiner Musik, sondern auch mit seiner Lichtshow eine gewaltige Show abzuziehen (Kompliment an die Lichttechnik im Dynamo an dieser Stelle). Das Post-Rock-Grosskaliber liefert einen energiegeladenen Auftritt. Mit hervorragend auskalibrierten Sounds von Gitarre über Bass und Synthies jongliert das Trio zwischen flächig hypnotisierenden Rock-Wellen und antreibenden Riffs, ohne dabei ihren Groove zu verlieren.

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Die Intensität liegt in der Luft und die Band liefert den nötigen Funken, um das Publikum damit zu entfachen. Mit ihrer neuen Scheibe From Voodoo To Zen im Gepäck, welche im September dieses Jahres erschienen ist, wusste das Trio aus Polen das Bergmal eine Stunde lang in ihren Bann zu ziehen und nicht mehr loszulassen.

Aber auch an Klassikern aus den Alben Eartshine und Aura durfte es nicht fehlen. Eine perfekte Mischung an Post-Rock, ziehenden Riffs und elektrisierenden Synthie-Klängen.

Spurv

Als Spurv die Bühne in der Cellar Stage betritt, ist der Saal bereits voll. Die sechs Norweger sind schwer bewaffent: Drei Gitarren, Bass, Posaune und Schlagzeug. Gleich zu Beginn lässt die Band einem 10-minütigen Post-Metal-Epos auf die Zuschauerinnen und Zuschauer los. Ein Riff jagt das nächste, ein Gitarrenorchester mit schwingenden Mähnen.

Mit toller Bühnenpräsenz und überlauten und sich ekstasierenden Gitarrenschwalle lässt Spurv ein wahres Post-Metal-Feuerwerk erklingen. Bei ruhigeren songs wie Den Gamles Stemme Brister beweisen sie mit Fingerspitzengefühl, dass es auch ihre zarte Saiten in sich haben und ebenso hypnotisieren.

Emma Ruth Rundle

Die zweite Headlinerin des Abends ist niemand geringeres als Emma Ruth Rundle. Früher Teil der Post-Rock-Supergruppe Red Sparrowes, seit 2011 allerdings auch mit ihrem Soloprojekt unterwegs. Mit ihrem neusten und weltweit gefeierten Album On Dark Horses von vergangenem Jahr fand sie ihren Weg nun ans Bergmal Festival und die Besucherinnen und Besucher zahlreich ihren Platz vor der Bühne der Roof Stage.

Nicht vergebens, in ihren düsteren Songs öffnen sich ganze Welten voller Trauer, Melancholie, Schmerz und Wut. Die Kalifornierin weiss mit ihrer Begleitband verzerrte Gitarrentöne in purste Nostalgie zu verwandeln. Ihre Songs sind Folk-basiert, dennoch lässt Emma Ruth Rundle mit einem meditativen Hauch von Ambient und angezerrten Gitarren das Dynamo in die wunderschön verletzliche Seite des Post Rock tauchen.

Post-Festival-Blues

Das Bergmal Festival ist seit drei Jahren nun mein Festival-Abschluss des Jahres, ehe es in die Winterpause geht. Auch ohne den (jedenfalls für mich) berühmt-berüchtigten Falafelstand nimmt man das Treppensteigen nur zu gerne in Kauf und gibt seinen letzten Rappen im Merch-Stand für Platten und Shirt aus. Noch in jedem Jahr hatte ich das Glück, neue und grandiose Bands kennenzulernen. Die Atmosphäre immer noch die Gleiche: Faszination und schwingende Mähnen, Gänsehaut und absolute Publikumsstille während den Konzerten, melancholische Weiten und verzerrte Schönheit, einzigartig und einmalig.