Das kleine Nox Orae in La-Tour-de-Peliz feierte sein zehnjähriges Jubiläum und wir waren mit dabei. Allerdings nur am Freitagabend, denn da spielten die Viagra Boys. Eine tolle Gelegenheit das familiär psychedelische Festival und die Rasselbande aus Schweden besser kennenzulernen.
Konzertfotos von Gabriel Monnet.
Seit zehn Jahren wird jeweils am letzten Wochenende vom August der Genfersee mit höchst psychedelischen, bizarren Lo-Fi oder einfahrenden Garageklängen beschallt. Zu diesem Jubiläum fand die diesjährige Ausgabe des Nox Orae Openair in Vevey nicht nur während zwei, sondern gar drei Tagen statt. Einen Katzensprung vom See befindet sich der Park Jardin Roussy in La-Tour-de-Peliz, welcher sich während diesen drei Tagen in ein kleines, aber feines Festival verwandelt. Dies zu einer überschaubaren Grösse: Ein halbes Dutzend Esswägen, zwei Bars (mit guter Bierauswahl) und eine verhältnismässig grosse Bühne und schon steht alles bereit, um sich ganz und voll dem psychedelischen Überdruss hinzugeben.
Heimspiel für Sun Cousto
Es ist kurz nach 19 Uhr, langsam und allmählich trudeln immer mehr Besucher ein. Nicht vergebens, denn den Auftakt des Freitagabends machen Sun Cousto. Ein uns nur allzu bekanntes Duo, welches wir vor zwei Wochen schon als Vorband von Kikagaku Moyo bestaunen durften. Für die beiden nonchalanten und saucoolen Frauen galt der Auftritt in Vevey als Heimspiel, da die beiden ihren lärmigen Ursprung im benachbarten Lausanne fanden. Die Nebelmaschinen dunsten ordentlich die Bühne ein und unter vorfreudigem Applaus betritt das Garage-Duo die Bühne.
Jesus Can’t Surf
Polterndes Schlagzeug, schrummelnde Gitarre und zweistimmiger Gesang und schon ist das LoFi-Feeling geboren. Bissig süss und mit viel Witz klingt es beinahe wie sanfter Punk. Doch sie können auch anders. Nach dem beinahe schon traurig klingenden Jesus Can’t Surf werden härtere Kaliber aufgefahren. Ein Tritt auf das Fuzz-Pedal, heftige Kicks auf das Bassdrum und Peitschenhiebe auf die Becken lassen Garage Rock auf die Meute los. Holprig groovend paaren sich Geschrei, Verzerrung, Strobo und punkige Riffs und lassen ein sichtlich erfreutes Duo und Publikum zurück.
Deerhoof – Ein bisschen Space gefällig?
Nach einer kurzen Umbaupause legt Deerhoof gleich schon los. Zugegeben, über Deerhoof habe ich mich im Vorfeld kaum informiert und umso grösser wurde die Schockstarre. Das Quartett aus San Francisco betritt die Bühne und fackelt nicht lange: Ein wild verspielter Drummer lässt keinen Groove beim Alten, darüber ein verzerrt lärmiger Klangteppich aus bizarren Riffs und hochprozentigen Psychedelic-Licks. Die Wechsel abrupt, die Grooves wild und einfahrend und die Musik unvorhersehbar. Dazu verzieht die Sängerin Satomi Matsuzaki in meditierender Ruhe keine Miene.
Lärmige Verspieltheit
Der eine Gitarrist im Poncho, der andere auf einem Gartenstuhl spielend und die Sängerin tauscht den Bass gegen das Tanzbeinschwingen aus. Eine bizarre Szenerie, doch trotzdem kann man nicht anders, als gebannt dem ausdrucksvollen Experimental Rock zu lauschen, dies mit einem Schlagzeugfundament nicht von dieser Welt. Je länger wie mehr lässt man sich auf das Konzert ein und man findet immer mehr Gefallen am Verrückten, am Unvorhersehbaren und der lärmigen Verspieltheit.
The Flaming Lips
Verrückt wurde es ebenfalls bei der nächsten Band. Es ist mittlerweile kurz vor 22 Uhr, die Headliner The Flaming Lips haben die Hörlustigen vor die Bühne gelockt und die Besucher sind allmählich gleich voll wie das Festivalgelände selbst. Eine riesige Discokugel ziert auf der Bühne, als Intro spielt die Band laut Also sprach Zarathustra und mit dem ersten Lied ergiesst sich eine schillerndes Konfetti-Meer in die nächtliche Dunkelheit und schwebt mit aufhüpfenden Ballonen über dem Publikum. Zu so einer Show nimmt man auch das eine oder andere Konfetti im Wodka Lemon in Kauf.
In futuristischen Aufzügen eröffnet die siebenköpfige Band aus Oklahoma ihre Show und beschallt mit bittersüssem Indie-Rock den Park. Im zweiten Song wird zum Yoshimi Battles the Pink Robots Pt. 1 ein pinker, gigantischer Roboter-Monstrum aufgeblasen, im dritten Song reitet der geflügelte Sänger Wayne Coyne auf einem leuchtenden Einhorn durch das Publikum und verteilt Konfetti. Keine Frage, in den ersten 15 Minuten legen die Herren bereits eine hohe Messlatte an, was Showeffekte angeht. Ein Ballon trifft genau meinen Wodka Lemon, na toll.
Mehr Show als Musik?
Die Showeffekte ziehen weiter den Roten Faden durch die Performance der kultigen Art-Rocker und allmählich frage ich mich, ob es mehr als bloss ihre Show zu bestaunen gibt. Nach etwa 45 Minuten gibt es dann endlich einige lang anhaltende Ausflüchte in die psychedelische Ecke, Ausuferungen höchst einfahrenden Rock. Klar, die Gute-Laune-Propheten mögen zwar mit ihrem Schnickschnack begeistern, nach einer guten halben Stunde man allerdings schon fast alles gesehen. Richtig mitgefiebert wird bei dem lauen Alternative Rock erst bei ihren Ausbrüchen in lärmige Ekstase, ganz im Zeichen des Neo-Psychedelica.
Nach etwas anderthalb Stunden geht ihr Auftritt zu Ende. Ein Auftritt, bei welchem so einiges los war und für viele verdutzt faszinierte Mienen bei den Zuschauern sorgte. Glücklicherweise kam gegen den Schluss auch die nötige Prise Psychedelic von seitens der Band nicht zu kurz.
Viagra Boys
Mitternacht. Das Beste zum Schluss. Viagra Boys heissen die Herren der Stunde. Ihre Beschreibung: «Questionable sounds from your future’s past.» Genau so klingt es: Einfacher und einfahrender Post Punk gemischt mit wirr absurden Texten und einem Katergarant am Morgen danach. Ein simples Erfolgsrezept, welches die Band seit dem Release ihres Debütalbums Street Worms vom letzten Jahr seither beinahe ununterbrochen auf Tour katapultierte. Aushängeschild und torkelnde Galeonsfigur der Gruppe bildet dabei Sänger und Texter Sebastian Murphy, welcher die Band 2015 nach einem Karaoke-Abend mit einer gewissen Menge Alkohol gründete. Wer denkt, dass die Herren mit dem Bandnamen ihre Männlichkeit unter Beweis stellen müssen, liegt hierbei falsch. Viagra Boys besingen vielmehr das gescheiterte Männerbild, dies mit viel Witz und Krach.
Auf zum Post Punk Tanz
Mit einem abgedrehten Sax-Intro beginnt das letzte Konzert des Abends. Was folgte ist ein repetitives Post-Punk-Ungetüm von Konzert, welches das Nox Orae in eine pogende Tanzfläche verwandeln liess. Das Schlagzeug liefert einen robusten und zügigen Beat, darüber nimmt eine einladende und grimmige Basslinie ihren Lauf. Was fehlt sind die bissigen Akzente von Gitarre und Sax, dazu ein süffiger Klangteppich oder aufputschende Melodien des Synthies. Zu diesem Punk-Tanz stolziert nun der bierbäuchige und volltätowierte Sänger Sebastian Murphy mit der Eleganz eines betrunkenen Schwanes auf der Bühne, räkelt sich am Boden oder tanzt angesäuselt zu den mitreissenden und basslastigen Sounds der Band mit. Ein herrlicher Anblick.
Baseball, Basketball
Beim Überhit Sports der Band gibt es kein Halten mehr. Die Menge tobt. Bier landet überall, ausser da wo es hin sollte. Über einen 4/4-Takt zählt der bierbäuchige Schwede diverse Sportarten auf, im Refrain wird bloss laut «Sports» gegröhlt. Gute Musik kann so einfach sein. Und die Menge gröhlt mit. Der Bass dröhnt erbarmungslos aus den Boxen, Haare landen in fremden Gesichtern, Stagediver werden von den Zuschauerwellen verschluckt und fallen unsanft zu Boden. Jeder Song entpuppt sich als lang dauernde und lang ausufernde Post-Punk-Tanzeinladung mit der Lizenz zum Durchdrehen.
Zur Verabschiedung eine polternde Lärmüberdosis
Als Zugabe liefert das Sextett aus Schweden mit Shrimp Shack eine etwa zehnminütigen Post Punk Überdosis. Eine gnadenlose Rhythmusfraktion. Viagra Boys verabschieden sich nach über 70 stampfenden und ausgetanzten Minuten vom Genfersee. Die Kleider sind nass, sei es vom Schweiss oder herumfliegenden Bier, die Ohren surren und die Knochen müde.
Ein toller Festivalabend im Zeichen der abgedrehten Musik. Ein familiäres Festival mit verhältnismässig grosser Bühne und toller Lichtshow. Es fehlt einem an nichts – gute Musik, tolles Bier, noch besseres Essen und natürlich Psychedelica à la nom de bleu. Das ganze am malerischen Lac Léman. Ein tolles Jubiläum, auch wenn es mein erster Besuch am Nox Orae war. Aber bestimmt nicht der letzte.
Die Konzertbilder wurden uns freundlicherweise vom Fotografen Gabriel Monnet zur Verfügung gestellt. Besucht seine Instagram-Seite für weitere spannende Aufnahmen.