Der rotbärtige James Brown

Bild: Brantley Gutierrez

Nathaniel Rateliff packte im X-Tra in Zürich seine volle Soulkraft aus. Der Sound war ein Brett, das Publikum tanzte und johlte.

Dieser Mann mit Bierbauch, roter Bärenbart und Brustbehaarung, die aus seinem weit geöffneten Hemd guckt, sieht nicht nach Rockstar aus. Ja, Nathaniel Rateliff trägt Cowboyhut und die Gitarre vorm Bauch, doch hinterwäldlerisch klingt der Mann in keiner Weise.

Und schon schlägt der Drummer einen treibenden Beat. Und die Hammond summt dazu. Und die Bläser röhren eine Soullinie in den vollen Saal des X-Tras in Zürich. Und dann singt Nathaniel den Opener Shoe Boot. Und das bläst die Leute weg. Sie tanzen, johlen, klatschen und schwingen die Hände in der Luft.

Der Sound, das macht die Band von Beginn weg klar, ist eine Wand. Volles Rohr, vom ersten bis zum letzten Takt. Mit den drei Bläsern, der Hammondorgel, zwei Gitarren, Drums und Bass, die praktisch permanent zeitgleich spielen, ist das auch kein Wunder. Leisere Töne oder so etwas wie Songaufbau kann man sich da ans Bein streichen. Das ist aber auch nicht unbedingt notwendig. Denn Rateliff und seine Band halten ihre Songs kurz – ganz im Stil alter Rock’n’Roll- oder Soul-Knaller.

Traurigkeit wird erhebend

Ja, Soul. Das ist es, was der Mann mit  Cowboyhut verkörpert. Er singt wie James Brown, einfach in weiss. In seiner Stimme schwingt immer das Elend der Welt mit. Und inhaltlich sind die Songs alles andere als fröhlich. Doch mit seinem Gesang macht er all seine Traurigkeit zu etwas Erhebenden. Und er tanzt dazu.

Auf Platte sind die Songs teils nicht ansatzweise so tanzbar wie live. Selbst Sechsachtel-Kompositionen wie Say it Louder oder das balladeske Babe I know groovt die Band mit knackigen Arrangements und harten Schlagzeugparts hoch. Das hat den Effekt, dass es während des ganzen Konzerts keinen ruhigen Moment gibt.

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«Das Album klang zunächst wie eine Scheidungsplatte» – Nathaniel Rateliff im Interview

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Dies wiederum bedeutet: Nicht nur die Songs selber sind undynamisch, sondern im Grunde die gesamte Setlist. Und das ist letztlich auch der Wermutstropfen an dieser Tanzshow. Rateliffs Stimme muss sich permanent gegen das dröhnende Soundbrett behaupten. Das kann sie auch problemlos. Doch würde ein Moment der Reduktion, ein Fenster für etwas sanftere Klänge, der Show als Ganzes gut tun – und den wortkargen Mann mit Hut etwas nahbarer machen.

Ausreisser nach oben

Dem Publikum ist das allerdings egal. Bei den Übersongs Howlin‘ at Nothing und S.O.B. schreit es mit. Das ist frappant: Rateliffs kompositorische Qualität ist übers gesamte Set hinweg solide. Und dann sind da die Ausreisser nach oben. Songs, die einfach herausstechen, Refrains, die hängen bleiben. Auch Kompositionen des neuen Albums reihen sich da ein. Hey Mama etwa. Oder You worry me. Man spürt sofort: Die Killersongs generieren mehr als ein Zucken im Tanzbein. Da springt dieser metaphysische, unerklärbare emotionale Funken.

Rateliff weiss die Höhepunkte gut über den Abend zu verteilen. Die Stimmungsbombe muss regelmässig wieder platzen. Und das Beste kommt zum Schluss. S.O.B., zu dem Rateliff eine Art Hassliebe pflegt, endet mit einer Chorlinie auf dem Vokal O. Der Saal johlt sie mit, Rateliff verschwindet, der Saal johlt weiter. Ganz klar: Eine schönere Aufforderung zur Zugabe kann man sich nicht wünschen.