Klain Karoo oder: Wenn Barkeeper auf dem Tresen tanzen

Bild: Janosch Tröhler

Vieles sprach gegen Klain Karoo: Die Band spielte nicht in voller Besetzung. In einer Location, die nicht ganz zu ihrem Sound passte. Und doch war das Konzert ein kleiner Wahnsinn.

Die Bar «Bloom» in Winterthur versprüht ein classy Ambiente. Es ist ein schöner Ort, an dem Stil zuhause ist. Leicht gehoben, wenn man so will. In einem gläsernen Halbrund sind die Instrumente und Mikrophone aufgebaut. Alles wirkt, als sei es eher für eine diffizile Smooth-Jazz-Nummer gemacht, denn für die elektronische Eskalation, die hier folgen würde. Andererseits ist genau dieser Kontrast so reizvoll an der «HörBar».

Währenddessen fallen dicke Schneeflocken durch die Äste der mächtigen Bäume. Im «Bloom» wird der Platz langsam knapp. Kein Wunder, der Eintritt ist frei. Klain Karoo haben heute ein Heimspiel, Freunde und Verwandte warten gespannt auf ihre Schützlinge.

Ganz scheu, geradezu unauffällig schleichen drei Menschen ins Rampenlicht. Kein Anzeichen von Überschwang. Doch als das Trio sich in ein krachendes Intro stürzt, fürchtet man, die Fenster würden gleich zerbersten.

75 Prozent Band – 100 Prozent Sound

«Time is running out» – So die erste Zeile des ersten Songs Cut The Rope. Ein klassisches Herzschmerz-Stück, aber eines, das sich im Refrain aufbaut wie ein Berg vor dem Flachland. Carla ist eine begnadete Sängerin. Ihre durchdringende Stimmgewalt wandert von Pop über Soul zum R&B. Dazu baut Benji an den Synthesizer immense Klangkathedralen auf. Und Danny pumpt mit den Drums den Lebenssaft durch die Stücke wie ein Herz. Der Bassist Gäbe tritt nicht auf – er weilt in London.

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Sängerin Carla bannte das Publikum mit ihrer Gänsehaut-Stimme. Bild: Janosch Tröhler

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Klain Karoo steht nur zu Dreiviertel da. Das hindert die Newcomer nicht daran, eine energetische Performance zu bieten. Zu ihrer ersten Single Stay A Little While entschwebt die Band melancholisch dem Raum. Dann, mit dem bisher unveröffentlichten Lied Black + White donnert der Samstagabend jäh zurück ins Bewusstsein. Die Bässe wummerten, die Beats knackten, darüber die Gänsehaut-Stimme. Klain Karoo sind nun erst richtig warm gelaufen, jetzt räumen sie das Feld auf. Black + White klingt mit seinen hallenden Pfeifen wie ein futuristischer Western-Soundtrack.

Gefolgt vom wuchtigen Runaway Kid, diesem Trip-Hop-verliebten Offbeat, sind Klain Karoo gleichermassen getrieben wie entspannend. Dann schlagen sie plötzlich ruhige Klänge an. Eine Klavier-Ballade beendet das erste Set. Es ist der Beweis, den die Band bereits auf ihrer EP Lights Down Low antraten: Schubladen sind ihnen ein Graus. Mal spielen sie verträumten Pop, dann euphorischen Electro, um wenig später an der Grenze zum Indie-Rock zu kratzen. Uniformität oder gar Langeweile – das kann man ihnen nicht attestieren.

Halbzeit

Der Unterbruch gehört zum Konzept der «HörBar», auch wenn zwei Sets kein Muss sind. An diesem Abend sind doch Zweifel angebracht. Erst richtig in Fahrt gekommen – Band wie Publikum – wird die Stimmung gebrochen. Ein musikalischer Coitus Interruptus, wenn man so will. Und ein solcher ist nie wünschenswert.

Die Frage war deshalb: Haben sich Klain Karoo in der Pause abgekühlt?

Klain Karoo waren zu allem bereit. Bild: Janosch Tröhler

Selbst wenn, man hätte es nicht erraten können. Die Band steigt in ihr zweites Set ein, wie sie das erste beschlossen haben: Sanft, aber intensiv und vollkommen analog bieten sie You’re The One That I Want vom Film Grease dar.

Mit Don’t Lose Me, einem weiteren neuen Song, war klar: Sie sind heiss und zu allem bereit. Wieder überraschen Klain Karoo mit einem neuen Element im Sound, als Carla zu einer Rap-Passage ansetzt. Es mag nicht vernünftig erscheinen, doch es funktioniert.

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Aber nichts an diesem Abend lässt sich mit Lights Down Low vergleichen. Das Trio verschmilzt zu einem einzigen Organismus – sie werfen sich kecke Blicke zu, lachen sich verschmitzt an. Der Song ist so brachial einvernehmend, das der Damm vollkommen bricht. Es ist die Steilvorlage für Don’t Talk, ihre sphärische Hymne, die letztes Jahr bei Negative White die Video-Premiere feierte. Die Single ist ein filigraner Diamant. Doch live zeigen Klain Karoo eine neue Facette des Steins. Sie ist roh, ungeschliffen, direkter. Sie strecken den Song in ekstatische Länge, spielen sich weiter in den Rausch.

Tanzende Barkeeper

Das Publikum jubelt, applaudiert – angesteckt von der Funken sprühenden Spielfreude. Eine Zugabe ist nicht geplant. Doch die Menge kennt kein Erbarmen, sie hat Blut geleckt. Klain Karoo müssen nochmals auftauchen. «Ihr seid so geil», sagt Carla ungläubig, während sie und ihre beiden Kollegen leicht hilflos dastehen. «Wir haben keinen Song mehr.»

Jemand aus dem Publikum ruft: «Lights Down Low!» Nun haben Klain Karoo nichts mehr zu verlieren, aber alles zu gewinnen. Und sie räumen alles ab. Der Druck ist abgefallen, sie spielen befreit. Ein magischer Moment, wie ihn nur ein Konzert schaffen kann. Benji eskaliert regelrecht an den Tasten. Sogar die Barkeeper lassen aus ihrer distinguierten Seriosität reissen und tanzen plötzlich auf dem Tresen. Ein kleiner Wahnsinn im «Bloom».

Bild: Janosch Tröhler