Ludovico Einaudi führte das Zürcher Publikum auf eine virtuelle Reise

Seit Wochen ist das einzige Schweizer Konzert von Ludovico Einaudi ausverkauft. Das sogenannte «kleine Hallenstadion» (zur Hälfte verkleinert) bietet einen intimen Rahmen für den Virtuosen am Flügel. Mit einem einzigen sanften Tastenanschlag lässt er den ganzen Saal in stille Andacht sinken.

Die wenigsten kennen seinen Namen, obwohl er einer der berühmtesten italienischen Pianisten und Komponisten ist. Ludovico Einaudi komponiert Filmmusik, liefert Pianostücke für Werbespots und Soundtracks für TV-Shows wie beispielsweise X-Factor. Weltweit ist er der meistgestreamte klassische Künstler und vereint alleine auf Spotify über 2.5 Millionen monatliche Hörer.

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Musik, die Geschichten erzählt

Er ist bekannt für dieses Wechselbad von melancholischer Melodie zu dramatischer Stimmung, die einen kaum mehr auf den Sitzen hält. Es dürfte nicht erstaunen, dass er mit Filmmusik Erfolge feiern konnte. Er schafft es, mit einer Kombination aus Musik, Licht und Leinwand-Projektion ganze Geschichten zu erzählen, die als Stories vor dem inneren Auge ablaufen.

Die fünf Musiker an der Seite Einaudis spielen verschiedene Instrumente: Violine, Cello, Synthesizer, Keyboard, klassische Gitarre, E-Gitarre, Bass, Marimba, Psalterium, Tambourin, Pauke, Percussion. All dies unterstützt das schichtweise Aufbauen der Dramaturgie im Zusammenspiel mit seinem Flügel. Bestes Beispiel ist dafür The Tower, das er vor seinem Solopart darbietet.

Ludovico Einaudi (Bild: Michelle Brügger)
Jedes dieser Instrumente kommt mehrfach zum Einsatz.
Ludovico Einaudi (Bild: Michelle Brügger)
Eine Vielfalt an Instrumenten.

Das Bühnenlicht wird immer der Musik angepasst. Mal ist die Bühne fast wie in Kerzenschein eingetaucht und unterstreicht die melancholische, ruhige Musik, die einen schon fast in den Schlaf wiegt. Sie scheint einen sanft zu umarmen. Die Gedanken beginnen zu wandern, ein Lächeln im Gesicht.

Ein Mann und sein Flügel. Im Rücken das Publikum, das sich kaum zu atmen traut.

Es ist so still im Hallenstadion, dass man das Knarren der Tribünenstufen und das Flüstern des Personals bei den Türen hört. Es ist sogar so leise, dass man irgendwann die Lüftung wahrnimmt und die tiefen Atemzüge seines Nachbarn. Keine hörbaren und unnötigen Unterhaltungen wie sonst. Eine Halle voller Menschen, die die Musik intensiv geniessen.

Ludovico Einaudi ( (Bild: Michelle Brügger)
Ludovico Einaudi geht komplett in seinem Klavierspiel auf.

Drei Spots sind auf den Pianisten gerichtet, seine Noten beleuchtet. Auf der Leinwand wird die Klaviatur eingeblendet, seine Hände wandern andächtig über die Tasten. Ludovico Einaudi scheint alles um sich herum zu vergessen und geht komplett in der Melodie auf.

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Ludovico Einaudi (Bild: Michelle Brügger)
Andächtige Performance.

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Fast 25 Minuten lang verharren wir in einem fast meditativen Zustand mit sanften Klängen, hie und da das Gefühl, einen Einspieler einer bekannten Melodie zu erkennen. Beendet wird sein Pianosolo mit einem einzelnen Tastenanschlag, den er komplett ausklingen lässt, bevor die Noten im Dunkeln verschwinden.

Das Publikum honoriert dies mit einem intensiven Applaus und einzelnen Rufen aus der Menge. In ein Spotlicht getaucht dreht sich der Virtuose zum Saal hin und begrüsst die Zuhörer mit einem kurzen Winken.

Der sanfte Übergang seines Solos zu Elegy For the Arctic lässt weiterträumen, bis man zum Ende hin von Numbers auf Eros vorbereitet wird, das einem auf einer hohen Welle mitnimmt.

Encore mit weiteren Höhen und Tiefen

Als die Musiker die Bühne verlassen, ertönt ein Beifallsssturm, der auf den Rängen mit lautem Fussgetrampel unterstützt wird, Woohoo-Rufe schallen in Richtung Bühne. Der Maestro lässt nicht lange bitten. Er greift ein weiteres Mal in die Tasten und zaubert eine neue Geschichte in die Köpfe.

Sphärische Klänge mit dem Psalterium, ein Blech im Wasserbecken, dessen Klang sich je nach Tiefe beim Schlag darauf verändert. Es fühlt sich an, als sei man unter Wasser, ohne sich gross Gedanken zu machen. Die Musik wird dramatischer, als ob eine Gefahr auftauchen würde. Bei Divenire effektvoll eingesetzte Scheinwerfer, die auf Halbkugeln am Boden zielen und das Licht strahlenförmig verteilen. Ein bewegtes Leinwandbild mit seitlich wandernden Scheinwerfern erzeugen die Illusion, die Bühne würde sich drehen.

Ludovico Einaudi (Bild: Michelle Brügger)
Bühnenlicht, Projektion und Melodie sind perfekt aufeinander abgestimmt.

Als er sich definitiv vom Publikum verabschiedet ist es Viertel nach Neun. Ich bin gleichzeitig etwas matt und aufgekratzt. Lange, sanfte Soli, bei denen man die Augen schliessen und entspannt einschlafen möchte. Gefolgt von minutenlang dramaturgisch aufgebauter Spannungsmusik, die sich in wildes Scheinwerferlicht entlädt. Die Rezeptoren agieren auf Hochtouren und fahren erst wieder herunter, wenn wieder ruhigere Töne erklingen und das Licht gedämpft wird.

Diese emotionale Achterbahnfahrt bedient er während des ganzen Konzerts. Zwei Stunden aktiv in seiner Musik aufzugehen, ist anstrengender als man glaubt. Aber es ist auch unglaublich schön, so dass man sich am Ende zwar erschöpft, aber dankbar für dieses wunderbare Geschenk auf den Heimweg begibt.