Ein Streifzug am m4music 2018 – von «Rotz’n’Roll» bis Soul

Lisa-Kaindé von Ibeyi. Bild: Evelyn Kutschera

Das m4music ist ein Klassentreffen der Branche. Aber nicht die alten Szenehasen, sondern die jungen Nachwuchsschüler liessen das Fest richtig überkochen.

Es ist immer so was wie der Startschuss ins Musikjahr, der Urknall der Festivalsaison: Das m4music in Zürich.

Allerdings: Bei genauerer Betrachtung stimmt das natürlich nicht. Denn bis im März konnte man bereits mitreissende Konzerte geniessen und am One Of A Million Festival in Baden in Klangwelten eintauchen.

Sicher ist, dass das m4music ein Klassentreffen der Branche ist. «Hey, wie geht’s?» oder «Hallo, bist du auch wieder da?» gehören zum Standard-Repertoire im Smalltalk. Man kennt sich, ist lieb zueinander und der Tratsch wird hinter vorgehaltener Hand weitergegeben. Es ist eine kleine Gruppe und man begegnet sich immer wieder.

Pessimisten mögen sagen: Das m4music ist ein belangloser circlejerk der Szene. Und vielleicht haben sie sogar ein wenig recht damit. Die Kritik ist teilweise harsch: Die Conference verpasst drängende Themen. Und das Line-up ist kein Augenöffner, die Bands habe man sowieso auf dem Schirm.

Andererseits, und das ist viel gewichtiger, braucht es das Popfestival. Nicht nur für den Austausch über die Sprachgrenzen hinweg oder als Plattform für Debatten. Sondern auch als Forum für Musikerinnen und Musiker. Hier können gerade Acts am Anfang ihrer Karriere wichtige Kontakte knüpfen.

«Nei, du Hode!»

Weniger für die Branche, mehr für die Fans bietet auch das m4music 2018 viele aufstrebende Bands im Programm. Am Freitagnachmittag wärmt die Sonne den Platz vor dem Zürcher Schiffbau auf. Doch bei den Erinnerungen an letztes Jahr, als es richtig warm war, zieht bereits die Wolkendecke am Himmel auf.

Trotz der spätwinterlichen Kälte versammelten einige Zuschauer um den Konzerten auf der Openair-Bühne zu lauschen. Das erste Highlight donnerte mit Tobias Carshey über den Platz. Lockere Stimmung verbreitete er allemal, denn auf die übliche Frage ans Publikum, ob denn alle gut drauf seien, verlangte er den Boykott: «Nei, du Hode» solle das Credo des Tages werden und er hoffe sehr darauf, dass das Publikum dies weiterziehen werde.

Danach installierten sich Emilie Zoé und ihr Schlagzeuger auf der Aussenbühne. «Poetry Punk», so nennt sich das erdachte Genre der Neuenburgerin. Die Menge brauchte einen Moment um zu entscheiden, ob ihr das wirklich gefällt. Anders präsentierte sich Zøla & the North aus Basel: Der Gewinner der Demotape Clinic 2017 in der Kategorie Urban schickte mit seiner ruhigen und doch emotionalen Art die Menschen auf eine musikalische Reise.

Während die Nacht über Zürich hereinbrach, machten sich Tompaul aus Baden daran, das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Ihr elektronischer Sound ist magnetisch. Passanten wurden wie von Geisterhand zur Bühne gezogen und fanden nicht mehr aus diesen sphärischen Gefilden.

Viel Sentiment

In der grossen Halle war der Moment für die Schaffhauser Band The Gardener & The Tree gekommen. Energiegeladen war ihr Auftritt allemal. Eine Konstante, die aber vor allem auf Sicherheit setzt. Da sind keine Experimente, keine Fallstricke in der Musik. Jeder findet hier etwas, dass man mögen kann. Aber deswegen sind sie auch keine Offenbarung.

The Gardener & The Tree am m4music 2018
Manuel Felder von The Gardener & The Tree. Bild: Evelyn Kutschera

Von ganz anderem Kaliber war da die Musikerin Meimuna. Cyrielle Formaz, wie sie bürgerlich heisst, hielt ihre Audienz im Moods ab. Ruhig, reduziert, aber äusserst stimmig – eine Einladung zum Träumen.

Im schon gestossen vollen Exil hatte der gebürtige Südafrikaner Nakhane das Publikum ganz bei sich. Auch er relativ unspektakulär unterwegs, lässt seine Stimme sprechen und das Exil wurde immer voller. Ein wunderbarer Auftritt mit viel Sentiment.

Nekhane m4music 2018
Viel Gefühl bei Nakhane im Exil. Bild: Evelyn Kutschera
Nekhane m4music 2018
Nakhane aus Südafika am m4music 2018. Bild: Evelyn Kutschera

Purer Soul, pures Talent

Doch einer vermochte diese Auftritte mit Verve übertrumpfen: Jacob Banks. Der gebürtige Nigerianer hat eine Stimme wie eine Naturgewalt. Im letzten Herbst verkaufte er das Zürcher Mascotte aus – bei seinem ersten Besuch in der Schweiz, mit nichts mehr in der Tasche als die EP The Boy Who Cried Freedom. Ein Mann mit unfassbarem Talent und Soul. Als er die Bühne am m4music betrat, folgte ein intensiver Auftritt – beschwingt, befreit und fordernd. Der erst 26-jährige Sänger macht gerade alles richtig und ist auf dem Weg nach ganz oben.

Jacob Banks m4music 2018
Viel Soul und Gefühl. Bild: Evelyn Kutschera
Jacob Banks m4music 2018
Jacob Banks hat eine grosse Stimme. Bild: Evelyn Kutschera
Jacob Banks m4music 2018
Ein intensiver Auftritt von Jacob Banks in der «Box». Bild: Evelyn Kutschera
Ibeyi m4music 2018
Das Publikum hatte sichtlich Spass beim Auftritt von Ibeyi. Bild: Evelyn Kutschera
Ibeyi m4music 2018
Ibeyi live in der Halle im Schiffbau Zürich. Bild: Evelyn Kutschera
Naomi Díaz von Ibeyi. Bild: Evelyn Kutschera
Sandor m4music 2018
Sandor. Bild: Evelyn Kutschera
Sandor m4music 2018
Sandor. Bild: Evelyn Kutschera

Samstag, zweiter Anlauf. Wie immer mit der Devise: Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist wund. Die müden Augen hinter Sonnenbrillen versteckt, Kaffee und Zigaretten in der Hand. Oder bereits ein Bier. Living that rock’n’roll life, ein wenig zumindest.

Am Nachmittag, kurz bevor die Sonne hinter den Industrie-Quadern versank, schlug die Stunde von Klain Karoo. Vor einigen Wochen lieferten sie in Winterthur einen unfassbar guten Auftritt ab. Die Latte fürs m4music war also hoch gesteckt. Vorweg: Sie enttäuschten nicht. Ihre filigranen Synthie-Melodien, unterlegt mit satten Bässen, waren der perfekte Auftakt in einen ausgelassenen Abend. Ihr Konzert eine einzige Steigerung an Intensität, angeführt von der wuchtigen Stimme von Sängerin Carla Fellinger. Spätestens als die heisse Newcomer-Band bei Lights Down Low richtig aufdrehte, gab es kein Halten mehr.

Der Abriss von Mama Jefferson 

In der Halle lud der Ausnahmemusiker Pablo Nouvelle auf eine sphärische Fahrt durch Donnergrollen und Blitze. Mal verträumt durch die Galaxie schwebend, mal schwer stampfend. Ein Wechselbad zwischen Drogentrip und wildem Rave. Leider fand seine Show viel zu früh statt – das ist Musik für die Unendlichkeit der Nacht.

Mama Jefferson m4music 2018
Vanja Vukelic ist der Kopf von Mama Jefferson. Bild: Evelyn Kutschera

Das m4music ist als Popfestival gewöhnlich etwas schwach auf der Brust, wenn es um laute Gitarrenmusik geht. Nicht so an diesem Abend. Der Abriss fand im Freien statt – der Platz erschüttert durch eine aufbegehrende Macht. Mama Jefferson sind die eskalierende Kraft des Schweizer Rocks. Und was dieses Trio hier ablieferte, ist purer «Rotz’n’Roll». Kompromisslos lärmend, laut und frech hämmerten sie ihre Stücke durch die Verstärker.

Mama Jefferson m4music 2018
Gitarrenheld durch und durch: Silvan Gerhard von Mama Jefferson in Aktion. Bild: Evelyn Kutschera

Das funkensprühende Energiebündel Vanja Vukelic, der Ausnahmegitarrist Silvan und der exzentrische Drummer Mattia haben eine unglaubliche Präsenz. Sie haben begriffen: Nicht Perfektion sondern Spass ist die Essenz der Rockmusik. Die Spielfreude dröhnt mit jedem Riff, strahlt aus ihren Gesichtern. Ein kompletter Wahnsinn! Mama Jefferson sind eine Band, die man live gesehen haben muss.

Mama Jefferson m4music 2018
Eine Wucht – Mama Jefferson reissen live alles vom Brett. Bild: Evelyn Kutschera

Synchron im Exil

Es schien komplett hoffnungslos, nach Mama Jefferson nochmals eine solche Wucht am m4music zu erleben. Wäre da nicht der Junge aus Köpenick gewesen. Romano, der Rapper, der aussieht wie Putin mit Zöpfen. Der mit seinen schrägen und doppelbödigen Songs einen Kult um seine Person aufgebaut hat. Und der im proppenvollen Exil seine Fähigkeiten als Entertainer auf die Spitze trieb.

Romano m4music 2018
Romano und seine «Julia» aus dem Publikum. Bild: Evelyn Kutschera

Von Copyshop, Metalkutte bis Klaps auf den Po – sein Stil begeistert nicht nur den Hip-Hop-Aficionado. Grenzen sprengend, Einigkeit schaffend. Das Publikum sprang synchron, die Herzen im Takt mit dem vibrierenden Bass. Ausgelassenheit verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Ein genialer Auftritt.

Romano m4music 2018
Rapper Romano aus Köpenick lieferte eines der Highlights am m4music 2018. Bild: Evelyn Kutschera

Endgültige Eskalation

Viele Biere später, die Füssen schmerzend, die Beine in die Bäuche gestanden, nimmt der Irrsinn am m4music Züge eines Hunter S. Thompsons an. Das Reinigungspersonal fischt mit blossen Händen eine zerknüllte Bierdose aus dem Pissoir. Aus einer Kabine dringen würgende Geräusche, gefolgt beissenden Gestank von Erbrochenem. Im Publikum werden heimlich geschmuggelte Flaschen gereicht. Vodka, gemischt mit Orangensaft oder Energy Drink. Süsslicher Duft strömt über die Köpfe. «S’Ziel isch nöd Rappi, sondern ufe und wäg», singt Stereo Luchs.

Sam Fender m4music 2018
Sam Fender, ein Mann mit schöner Stimme. Bild: Evelyn Kutschera