Aussergewöhnliche Musik verlangt nach einem aussergewöhnlichen Rahmen. Das ist die Maxime, nach der Manon Schlittler strebt. Die Schweizer Künstlerin zelebriert in ihrer Konzertreihe «Streams & Currents» mehr als die Musik. Was dies exakt bedeutet, demonstrierte sie eindrücklich im Atelier Esther Rieser.
Während wenige hundert Meter weiter die Langstrasse im Samstagnacht-Modus vibriert, geht es im Atelier charmant improvisiert zu und her. Dem Raum ist die Geschichte anzusehen: Gekachelte Wände, ein schwarz-weiss karierter Boden. Wo heute Esther Rieser und Rahel Arnold kreieren, war früher eine Metzgerei. Es ist kein Zufall, dass Manon hier auftritt: Rieser gestaltete das visuelle Konzept, Arnold die Videos.
Ein Ort des Beisammenseins, kein Happening, das nur 24 Stunden in der Instagram-Story überlebt.
Selbstredend ist so ein Atelier kein Ort für ein Konzert. Es ist eng, mit rund 30 Menschen ein ausverkaufter Abend. Freunde, Verwandte, Bekannte, aber tatsächlich auch Neugierige schlängeln sich zwischen den Tischen und Stühlen hindurch. Man trinkt Bier oder Wein, schnippt Erdnüsse in den Mund. Ambiente: Familienfest.
Noch bevor Manon eine einzige Note gespielt hat, spürt man: Es ist tatsächlich ein aussergewöhnlicher Rahmen. Das Konzert wird neu definiert, ist nicht mehr nur Happening, das für 24 Stunden in der Instagram-Story überlebt, sondern ein Ort des Beisammenseins.
Unberührt von den Filtern
Insgesamt präsentiert sich im Atelier Esther Rieser eine Atmosphäre, die so wohltuend ist, dass man sich verlieben könnte. Die Besucher*innen sitzen auf mitgebrachten Kissen, als Manon mit Aledin Qizmolli (Gitarre) und Julie Stier (Violoncello) hinter ihre Instrumente treten.
Es ist still im Raum. So still, dass das Kratzen meines Stifts auf dem Papier derart teuflisch laut klingt, dass ich ob der Todsünde erstarre. Und dann, ganz plötzlich, sind wir alle weit weg von der Hektik der Stadt. Das Atelier, die Menschen, sie verblassen.
Manon bricht die Regeln von Zeit und Raum, trägt uns fort. Mit bedachten, sanften Strichen malt sie ihre Welt auf die Leinwand des inneren Auges. Wir sind mitten in ihrer Welt, ausserirdisch und erdverbunden. Hier brandet Licht an Dunkelheit wie die Gischt an schwarze Klippen. Sie zeichnet filigrane Linien, umhüllt mit weiten Flächen und stürzt mit wuchtigen Akzenten das eigene Dasein in die Bedeutungslosigkeit. Es sind flüchtige Momente der Ewigkeit.
Ihre Klanglandschaften fliessen ineinander, bohren sich tief in die Seele und wecken dort unsere ursprünglichsten Emotionen. Unberührt von den Filtern unserer Gesellschaft.
Als wäre es eine Meditation, sind wir wieder ganz bei uns selbst. Und erkennen, wer wir sind. Menschen mit Geschichten, mit Ängsten und Zweifeln, aber auch mit der Kapazität zu gestalten, zu träumen und bedingungslos zu lieben.
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Wer diese spezielle Konzerterfahrung ebenfalls machen möchte, hat am 22. November in Bern noch die Gelegenheit dazu.