Ein Vierteljahrhundert Wave Gotik Treffen. Das musste gefeiert werden und so startete das Jubiläumstreffen mit einer Eröffnungsparty im nahegelegenen Freizeitpark Belantis. Irgendwie passend für das alljährliche Familienfest der Schwarzen Szene.

Wunderbarerweise hält sich das Wetter nicht an die Prognose. Nachdem wir alle warme und regendichte Kleidung eingepackt haben, erwartet uns der Donnerstag mit strahlendem Sonnenschein.
Die WGT-Besucher freut das genauso wie die zahlreichen Wirte, die in Leipzig eine Kneipe betreiben. Die Gartenlauben sind voll – als hätten alle Daywalker gleichzeitig beschlossen, jetzt im lauen Frühlingswetter einen Kaffe zu trinken. Die Stimmung ist irgendwo zwischen entspannt und verkatert. Am Abend vorher stieg eine grosse Eröffungsparty. Im Belantis gab es ein grosses Feuerwerk. Den Schilderungen jener nach, die es gesehen haben, muss es wahrhaft episch gewesen sein. Leider war die Personenzahl begrenzt. Die Veranstalter rechneten mit 1000 Leuten, Einlass begehrten über 10’000. Nicht alle kamen rein. Wer anbrannte tingelte weiter in die Agra-Halle. Die war zwar noch nicht offen, aber die ganzen Food- und Booze-Stände nahmen sich der Kundschaft gerne an.
Das Wetter hält – sehr zur Freude all jener, die das viktorianische Picknick nun im prallen Sonnenschein geniessen können. Aber nicht nur die viktorianischen freut’s: im heidnischen Dorf herrscht eine schöne und gemütliche Stimmung. Es hat genug Volk für eine schönes Festival-Feeling, gleichzeitig ist es auch nicht brechend voll. Als die Band fuchsteufelswild zu spielen beginnt, sammelt sich schnell eine tanzende Menge vor der Bühne. Mit ihren 7 Bandmitgliedern sind Fuchsteufelswild eine relativ grosse Band. Prominent sind der Dudelsackspieler, der auch lange Gesangspartien übernimmt. Seine Stimme erinnert an Thomas Lindner, den Sänger von Schandmaul, ist aber nicht ganz so nasal Die Frau an seiner brilliert mit einer sehr vielseitigen stimme. Mädchenhaft zart, so wie man es angesichts ihres Erscheinungsbildes erwartet, manchmal auch rau.
Die Band macht gewaltig Stimmung. Eine Tänzerin wirbelt auf der Bühne herum, hennarote Dreads über einem schwarzen Einteiler. Die Band ist vielseitig, neben zwei Gitarren, der E-Geige, Bass und Dudelsack kommt auch mal ein Megafon zum Einsatz. Als der Song seinen Höhepunkt erreicht, kippt die Tänzerin eine grosse Sanduhr aus. Nach dem fetzigen Konzertbeginn schlägt die Band nun mit «auf weissen schwingen» balladeskere Töne an. Die Stimme der Sängerin schwankt zwischen Sprechgesang und klarem Sopran. Die Band kommt an. Vor der Bühne tanzen Damen in Korsetten, eine schöner als die andere. Die sonnige Wiese vor der Bühne bietet platz für alle, die zu verkatert, zu betrunken, zu bekifft oder sonst wie zu träge sind, um sich zu bewegen. Aber die Gesichter sind der Bühne zugewandt, und jeder Song wird mit Applaus belohnt.
Es ist verführerisch, alles hoch zu jubeln, wenn man über einen Event berichtet, den man selber toll findet. Da passt es ausgezeichnet, dass ich auf zwei WGT-Besucher gestossen bin, die am viktorianischen Picknick teilgenommen haben und davon nicht allzu begeistert waren.
Das WGT hat zwei viktorianische Picknicks
Das Original ist öffentlich. Hier ist jeder willkommen – auch nicht WGT-Besucher. Daneben auch Fotografen oder Spassvögel in Helle Kitty-Kostümen. Das szenige wird dadurch zerstört, denn die Veranstaltung im Clara Zetkin-Park zieht reihenweise Gaffer an.
Daneben gibt es seit diesem Jahr ein viktorianisches Picknick im Panometer. Dort herrscht ein strikter Dresscode. Das Ambiente ist authentisch viktorianisch gestaltet: Cellospieler, Chor, klassische Musik. «Ein bisschen spiessig war’s» sagt einer der Besucher. «Ein bisschen zu ete petete. Ein reines Sehen und Gesehen werden.» Dazu passt auch, dass trotz Picknick relativ wenig gegessen wird. Man schlendert herum und unterhält sich. Man lebt die viktorianische Hochkultur, und man tritt in Kostümen jener Zeit auf. Wer sich im neuen Korsett präsentieren möchte und sehen will, was die Konkurrentinnen – Entschuldigung, Schwestern im Geiste – mit ihren Haaren angestellt haben, der ist an dem Event am richtigen Ort. Daneben muss man fairerweise einräumen, dass sich die viktorianische Elite auch so verhielt: Man traf sich zu gesellschaftlichen Anlässen, liess sich fotografieren, man war präsent. Insofern treten die heutigen Goths durchaus passend in die Fussstapfen der viktorianischen Oberschicht – eine Kultur, die gleichzeitig opulent und gesittet war, wo sich die Erotik unter eng geschnürten Taillen und hoch geschlossenen Krägen windet. Die viktorianische Ästhetik ist eine Schönheit mit sehr viel Subtext. Wer es lockerer nehmen möchte, für den ist das öffentliche Picknick geeigneter. Aber dort wird man am Laufmeter fotografiert.
Fotos: Christian Saladin