Samstag, Tag vier des Sziget Festivals. Man möchte annehmen, dass die Tage am Wochenende besser besucht sind als unter der Woche. Zumindest dieses Jahr trifft das hier nicht zu. Ob es am Line Up liegt? Im Vorfeld sprechen mich gerade mal zwei Acts an – Macklemore und Wanda – und die spielen fast zeitgleich. Ob sich das vor Ort noch ändern würde?
Auf unserem Programmpunkt stand als Auftakt Tamino, dessen Auftritt wir uns auf der Mastercard Stage by A38 nicht entgehen lassen wollten. Der 22-jährige belgisch-ägyptische Sänger schickte zeitweise spontan seine Bandkumpels von der Bühne, weil sie ihn zu stören schienen. Mit seiner wunderbaren Stimme machte er mächtig Eindruck auf mich. Wer hätte gedacht, dass man trotz meteorologischen Umständen eine Gänsehaut bekommt, während einem zeitgleich der Schweiss den Rücken herunter rinnt? Die gefühlvollen Lieder von Tamino machten es möglich.
Als nächstes zog es mich wie tags zuvor wieder zur etwas schattigeren Telekom Volt Stage. Dort spielten sich The Bluebay Foxes gerade die Seele aus dem Leibe. Ein Budapester Quartett, das den Indie-Rock zwar nicht neu erfand, aber dennoch irgendwie genau den passenden Soundtrack für diesen Tag spielte: schmissig und locker-leicht, wie das Leben sein sollte.
Danach schaffte ich es gerade noch zum heutigen Love Revolution Event, der mich heute sehr die Stirn runzeln liess. Jeden Tag wurden vor der Hauptbühne im Namen der Love Revolution viertelstündige Demos veranstaltet, die auf Umweltschutz, Gleichberechtigung etc. aufmerksam machen sollten. Der heutige Anlass hiess «Flags together – bring your flags»: In meiner Vorstellung ein Flaggenmeer von all den internationalen Festivalbesuchern.
In Realität wurden aber von unzähligen Helfern Sziget-Flaggen verteilt, auf denen verschiedenen Leitmotive der «Love Revolution» aufgedruckt waren. Auf einer weissen Flagge steht «Green Planet» und besteht aus einem synthetischen Material, befestigt an einem über einem Meter langen Plastikstiel. Nicht nur, dass die Materialien so gar nicht zum Motto passen wollten, offenbar wurden auch viel zu viele Flaggen produziert.
Nachdem jeder vor der Hauptbühne mindestens eine hatte, verteilten sie fleissig weiter. Schlussendlich hielt ich vier verschiedene «Love Revolution»-Flaggen in der Hand. Gemeinsam mit den Leuten um mich herum schwenkten wir alle Flaggen. Schön fürs Auge, nicht so schön für Mutter Natur. Nach dem Fahnenschwingen wurden die Stiele mehrheitlich auf dem Boden entsorgt, damit man die Fahnen als Andenken platzsparend verstauen und als Andenken mit nach Hause nehmen konnte.
Einerseits ist es beeindruckend, wie sich das Sziget für den Umweltschutz einsetzt. Bei Longdrinks erhält man nur ein Röhrchen, wenn man explizit danach fragt – und das ist aus Karton. Deshalb ist es umso unverständlicher, dass man für den 10-minütigen Event Tausende von Plastikstielen produziert und verteilt, statt auf ein umweltfreundlicheres Material zurückzugreifen.
Die meisten Fähnchenschwinger blieben dann auch direkt auf dem Platz, denn es wurde Zeit für den König des Thrift Shops. Alle wollten Macklemore sehen und mit ihm eine Party feiern. Die Leute standen dicht gedrängt, weil jeder so nah wie möglich an die Bühne wollte. Man kommt auch am Rand weit aussen kaum durch die Menge.
Gutgelaunt und mit einer massigen Portion Energie beginnt er die Show. Schon beim ersten Song wirft jemand einen knallroten BH auf die T-Stage. Als Macklemore den entdeckt, kommentiert das mit einem erstaunten «Echt jetzt? Schon beim ersten Song? Wow!», worauf aus dem Publikum eine Frau brüllte, das sei ihrer gewesen. Wenn der US-Rapper nicht gerade wild herumhüpft, kauert er sich kurz hin, grinst, geniesst die Reaktionen des Publikums.
Da sich mein zweiter Favorit des heutigen Tages mit Macklemore überschneidet, wechsle ich schon nach 30 Minuten von der Main Stage zur Zeltbühne. Wie viele Leute wohl ans Wanda Konzert gehen würden, wenn Macklemore gleichzeitig die Hauptbühne auseinandernimmt? Antwort: Etwa 50 Leute standen kurz vor Showbeginn vor der zweitgrössten Stage des Festivals. Natürlich alle deutschsprachig. Selbstverständlich füllte sich die Zeltbühne zusehends, als die fünf Jungs von Wanda erstmals zu spielen begannen.
Es war ein typisches Wanda-Konzert, bei dem die Band schon früh anfing Bier ans Publikum zu verteilen. Als sie einen neuen Song spielen wollten, versuchten sie eine Runde Whiskey auszuschenken, was aber so gar nicht klappte. Ein bisschen Chaos auf der Bühne und ein bisschen Chaos vor der Bühne. Als im Publikum immer mehr Leute anfingen zu crowdsurfen, musste tatsächlich noch die Security verstärkt werden. Wer hätte das bei diesen wenigen wartenden Menschen vor Showbeginn gedacht?
Bei Macklemore gewann man den Eindruck, den eigentlichen Headliner auf der Hauptbühne zu erleben. Spätestens als der effektive Headliner seinen Auftritt hatte, wurde das Altersgefälle sehr deutlich. The National vermochten viel weniger Leute anzuziehen. Der Bereich an und um die Bühne hatte sich merklich geleert, aber der positive Nebeneffekt war mehr Platz und weniger Menschen um einen herum, die Hitze ausstrahlen.
Matt Berninger und seine Band sorgten für einen unterhaltsamen Auftritt. Der Sänger gab sich gewohnt publikumsnah und verbrachte mindestens genauso viel Zeit auf der T-Stage wie auf der Bühne. Den eingefleischten Fans schien dies sichtlich zu gefallen, doch viele neue Anhänger konnte die amerikanische Indie-Band wohl nicht dazu gewinnen. Im Gegenteil: am Ende des Auftritts standen noch weniger Leute auf dem Platz als zu Beginn des Konzerts.
Viele schienen schon zu anderen Attraktionen abgewandert zu sein, wie zum Beispiel zum Auftritt von James Blake. Als der Brite kurz vor Mitternacht sein Set begann, war das Zelt bereits so voll, dass man sich regelrecht reindrängeln musste, um überhaupt noch etwas zu sehen. Mir persönlich macht es keinen Spass, in einer dicht gedrängten Menschenmenge zu stehen.
Blake ist bekannt dafür, sehr scheu und zurückhaltend zu sein. Er wendet sich wenig ans Publikum und sitzt meistens hinter seinen beiden Keyboards oder steht vor einem Mikrofonständer, ohne sich dabei viel zu bewegen. Das braucht es bei seiner Musik aber auch nicht, da er allein mit seiner Stimme fasziniert und durch die unerwarteten Elemente in den Songs die volle Aufmerksamkeit des Publikums auf sicher hat.
Mit diesem Auftritt beschliessen wir den vierten Tag und geniessen die kühle Nachtluft auf dem Nachhauseweg.