The Beauty of Gemina sind endlich wieder unberechenbar

The Beauty of Gemina haben auf «Flying With The Owl» den Ballast abgeworfen und zur Essenz ihres Sounds gefunden.

Bereits Anfang Jahr gab es mit dem Trailer erste Vermutungen. Die Bestätigung folgte mit Ghosts, der ersten Single: The Beauty of Gemina haben mit Flying With The Owl ein akustisch dominiertes Album aufgenommen.

Um zu verstehen, weshalb sich Michael Sele, der kreative Kopf der Band, dafür entschieden hat, muss man einen Blick auf die Geschichte werfen. 2006 erschienen The Beauty of Gemina mit ihrer Hitsingle Suicide Landscape schlagartig auf der Bildfläche der schwarzen Szene. Mit den ersten drei Alben zementierte die Band ihren Status als Dark-Wave-Flaggschiff der Schweiz. Kaum eine düstere Seele, die nicht Gefallen am dichten wie dunklen «Gemina-Sound» fand.

«The Myrrh Sessions» als unverstärkter Urknall

Das vierte Album Iscariot Blues landete erstmals in den hiesigen Charts. Allerdings vermochte das Werk – trotz guten bis grossartigen Songs – nicht ganz mit seinen Vorgängern Schritt halten. War der Zauber verflogen?

Doch dann, 2013, überraschten Sele und seine Mitmusiker alle mit The Myrrh Sessions. Ein Album mit akustischen Adaptionen ihrer bisherigen Stücke. Niemand hatte das erwartet. Es war der unverstärkte Urknall, der das Gemina-Universum für immer verändern sollte.

Auf The Myrrh Sessions zeigte sich die Band in völlig neuem Licht. Für viele, die die undurchdringbaren, elektronisch durchzogenen Kompositionen als einzige Möglichkeit sahen, war das Akustik-Album eine Offenbarung: Hier sind tatsächlich talentierte Musiker am Werk.

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Nur ein Jahr später folgte Ghost Prayers. Michael Sele versuchte – nur bedingt erfolgreich – die neu gewonnene Facette mit dem beliebten «Gemina-Sound» zu vermählen. Im Vorfeld von Minor Sun überlegte sich das Mastermind, eine weniger grosse Produktion aufzufahren, wie er im Interview verriet. Er entschied sich dagegen. Immerhin gelang die Fusion beider Klangwelten deutlich besser.

Mit Minor Sun schraubten The Beauty of Gemina live in neue Höhen. Bild: Janosch Tröhler

Ohne Ballast zur Essenz

Trotz der Versuche auf Ghost Prayers und Minor Sun: Der Weg von The Beauty of Gemina schien nach The Myrrh Sessions und zahlreichen Akustik-Touren vorgezeichnet. Und das, obwohl sich die Band in den letzten Jahren live in neue Höhen schraubte. Flying With The Owl ist die logische Konsequenz des Geschehenen.

Das Erstaunliche am neuen Album ist deshalb nicht, dass es akustisch geworden ist. Sondern, dass The Beauty of Gemina den Ballast loswerden mussten um die ätherische Essenz ihres Sounds wieder zu entdecken. Der «Gemina-Sound» bestand nie nur aus der Dichter der Arrangements. Es waren auch die einzigartigen Phrasierungen, die repetitiven Texte, die vertrakten Melodien und die konsequente Verweigerung des Strophe-Refrain-Schemas. Auf diese Ursprünge besinnen sich die neuen Songs zurück – und machen Flying With The Owl zu einem Genuss.

Dunkle Stimmung ist zurück

Natürlich bleibt das Album nicht ohne Risiko: The Myrrh Sessions profitierte damals vom Überraschungseffekt. Es waren bekannte und beliebte Songs – bloss im unvertrauten Gewand. Flying With The Owl muss hingegen ohne Vorschusslorbeeren überzeugen. Das ist die grösste Herausforderung, die die Band mit dem Album stemmen muss. Selbst wenn die akustisch angehauchten Elemente in den letzten Jahren in den Vordergrund traten – etwa bei Down By The Horses oder Mariannah –, gab es stets die wuchtigen Nummern wie One Million Stars oder Endless Time To See.

Was Flying With The Owl jedoch im Gegensatz zu den letzten beiden Alben kreiert, ist die düstere Stimmung der ersten Jahre. The Beauty of Gemina kehrten der dunklen Seite zwar nie ganz den Rücken, aber in dieser Intensität war die Dunkelheit länger nicht mehr zu spüren.

Die neu destillierte Atmosphäre in Flying With The Owl ist auch auf der Bühne spürbar. Die akustische Richtung macht den Sound erst dreidimensional. Als die Band am 29. September wieder im renommierten Zürcher Jazzclub Moods auftritt, sind die Songs laut, leise, fein und grob. Mal braut sich ein Sturm zusammen wie in Suicide Landscape, mal entspannt melancholisch wie in Into Black. Erst im Konzert wird erkennbar, wie gut sich die neuen Stücke in den Kanon der Gruppe einfügt.

Fast zweieinhalb Stunden dauerte ihr Auftritt. The Beauty of Gemina transportieren eine vollkommen andere Energie als bei ihren Rockshows. Es ist nicht die Wucht, die einen hier mitreisst, sondern die Nähe. Auf der tiefen Bühne lässt sich hervorragend die Symbiose beobachten: Das kurze Blitzen in den Augen der Musiker, das Lächeln, wenn eine Passage gelingt und die Euphorie auf das Publikum überspringt. Und die Band zieht wiederum ihre Kraft aus der Reaktion ihrer Zuschauer.

Michael Sele ist mit Flying With The Owl zu seinen musikalischen Wurzeln zurückgekehrt: Den Folk-inspirierten Musikern wie Neil Young, aber ebenso der Klassik. Das alles fliesst im neuen Album mit dem angestammten Sound in einem Akustik-Wave zusammen, der sich nie ganz in eine Schublade stecken lässt.

«It’s cold outside, can’t remember your face»

River, der erste Song auf Flying With The Owl, ist ein dankbarer Einstieg in die neue Gemina-Welt. Ein sanft fliessendes Stück mit Strophen wie graue Wolken, die über einem hinwegziehen und einem Refrain, der Lichtstrahlen den Himmel aufreissen. Doch die Dankbarkeit endet bereits bei Into My Arms, das mit seinem schwankenden Rhythmus herausfordert.

Das Dunkle durchdringt das sehr monoton gehaltene Monsters ebenso wie das auf Gitarre und Cello reduzierte In The Dark. Das sperrige I Pray For You erinnert unweigerlich Hunters und somit an die frühen Jahre der Band.

Andi Zuber, Michael Sele und Mac Vinzens. Bild zvg

Der Sound ist wieder unberechenbar

Musikalisch tanzt insbesondere Tunnel Of Pain. Der Song ist der einzige auf Flying With The Owl, der einerseits eine positive Attitiüde verbreitet, andererseits einen Country-Einschlag hat. Die Violine von Eva Wey hüpft wie ein junges Fohlen. Auch Shades of Summer ist eine kurze, zurückhaltende Aufhellung, der durch das überraschende Aufbegehren der predigenden Stimme Seles im Gedächtnis bleibt.

Unerwartet auch das wiederum dunkle Suicide Day, getragen durch eine prägnante Klavier-Melodie, über der das Cello und die Stimme schweben. Suicide Day ist auch deshalb einzigartig, weil es mehr eine Klanglandschaft zeichnet als vorgibt, ein klassisches Lied zu sein. Die später einsetzenden Drumbeats erinnern an La Mer – Rhythme Eternel, dem Instrumental-Stück von At The End Of The Sea.

«Welcome sweet darkness to my parting, my heart is beating from ten to zero»

Suicide Day symbolisiert das letzte Teilstück, das den «Gemina-Sound» komplettiert: Die Unberechenbarkeit. Das Album klingt zeichnet ein stringentes Bild, erlaubt es aber trotzdem jedem Song, einen eigenen Charakter zu entwickeln.

Es ist endlich wieder aufregend, The Beauty of Gemina zu hören. Die Stücke lassen sich nicht mehr so leicht erahnen. Vielmehr sind es kleine Abenteuer, voller Referenzen an das ganze Schaffen der Band. Hört man genau hin, lassen sich überall Erinnerungsfetzen an alte Sounds finden, ohne dass den neuen Songs die Originalität abgesprochen wird. In gewisser Weise ist Flying With The Owl ein Best-of-Album.

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