Europas musikalische Talentschmiede

Das Zürich Openair gehört zum ETEP. Bild: zvg

Kaum jemand ausserhalb des Musikbusiness kennt das Erfolgsrezept bekannter Bands aus Europa: das European Talent Exchange Programme. Was steckt hinter dieser Maschinerie? Ein Blick hinter die Kulissen mit Ruud Berends.

Das Eurosonic Noorderslag im niederländischen Groningen ist das Sprungbrett für so manche Musikkarriere. Das ist kein Zufall, denn im Hintergrund wirkt eine ominöse Kraft: das «European Talent Exchange Programme» – kurz ETEP.

Finanziert von niederländischen Institutionen und EU-Geldern stimuliert das ETEP seit 2003 den europäischen Austausch von Musikerinnen und Musikern. Wie funktioniert das genau?

Jedes Jahr spielt eine Auswahl europäischer Künstler am Eurosonic, einem sogenannten Showcase-Festival. Die Selektion findet über die Partner des ETEP statt. Darunter sind etwa 27 öffentliche Radiostationen, die in der European Broadcast Union (EBU) zusammengeschlossen sind.

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Ruud Berends. Bild: Guido Karp

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Entscheidend sei jedoch die Qualität, sagt Ruud Berends, Projekt-Manager beim ETEP, und vor allem: «Die Künstler müssen ready sein. Sie müssen ein Team und Kohle haben. Wenn dann 15 Festivalangebote kommen, müssen sie gewährleisten, diese auch spielen zu können.»

Das Eurosonic ist nicht nur ein Musikfestival, sondern auch eine Konferenz des Musikbusiness. 400 Delegierte von europäischen Festivals sind vor Ort. Der ETEP hilft ihnen, diese Künstler für das eigene Line-up zu buchen. Der Clou: Die Festivals erhalten Geld, wenn sie einen Künstler des ETEP buchen.

Insgesamt kann das Programm zwischen 2003 und 2016 ganze 3091 Shows verbuchen. Namhafte Künstler wie The xx, Franz Ferdinand oder Hozier absolvierten Shows im Rahmen des ETEP. Die Stimulation wirkt, denn Festivals seien die beste Plattform um neue Künstler in einem neuen Land zu präsentieren. 

Auch die Schweiz ist Teil des Programms. Acht Partner-Festivals buchen Acts aus dem Förderprogramm, etwa das Zürich Openair, das Greenfield oder das Montreux Jazz Festival. Dieses Jahr spielen unter anderem Faber, FlexFab oder Mario Batkovic durch das ETEP im Ausland auf Festivals.

Auffallen ist alles

Erfolg ist in der Musik nicht nur Glück. Neben Talent, Qualität und harter Arbeit sind auch Treiber wie das Exchange Programme verantwortlich für einen Karriereschub. Das wird deutlich, wenn man sich die Schweizer Bands anschaut, die Shows im Rahmen des ETEP absolvierten: Fai Baba, Puts Marie, Kadebostany. Und auch die Glastonbury-Show von Sophie Hunger war ein Ergebnis des ETEP.

Berends relativiert aber die Wirkungskraft des Programms: «Quality is not a guarantee for success. Man muss dafür sorgen, dass man auffällt. Wie kann man sonst den Entscheidungsträger erreichen?»

Die Entscheidungsträger seien die Festivals, Labels und Agenten. Die Zeit der Musikmedien sei vorbei, meint Berends: «Mein Sohn ist 18. Fernsehen gibt’s nicht, Radio gibt’s nicht, Medien gibt’s nicht. Snapchat, WhatsApp, YouTube, Facebook, Spotify.» Berends ist sich sicher, dass die Freunde wieder wichtiger werden. Statt auf dem Schulhof tauscht man sich heute halt digital aus, schickt sich die Links zur Musik.

Die Medien seien noch für die Generationen über 22 relevant. Die Medien haben ihre Macht als Multiplikatoren verloren. Die Festivals springen in die Bresche, denn hier erreichen die Bands viele Menschen zugleich: potentielle Fans, die Business-Leute und die Medien.

«Die Bands sind die Bosse»

In diesem Wandel mitzuhalten, ist für die Künstler schwierig. Die Musik wird mit der Digitalisierung zum Spielball in der Aufmerksamkeitsökonomie. Grundsätzlich habe sich an der Produktionskette nichts geändert, sagt Berends: «Wir haben einen Produzenten und einen Konsumenten. Die Zwischenschritte, wie das Produkt zum Konsumenten gelangt, haben sich verändert, aber im Grunde bleibt es gleich: vom Produzent zum Konsument.»

Wer mit seiner Musik also Erfolge feiern will, kann kaum planlos an die Sache herangehen. Denn: «Jeder kann heute Musik machen. Es ist billig. Man ist nicht mehr abhängig von einer Plattenfirma oder Distributoren. Die ganze Welt steht einem offen. Der Nachteil ist: jeder macht es.»

Immer wiederholt Berends seine eine Frage: «Wie fällt man auf?»

Eine richte Antwort darauf gibt es nicht, denn sie ist für jede Musikerin, jeden Musiker verschieden. Dennoch muss der Antwort eine Erkenntnis zu Grunde liegen: «Die Bands müssen lernen, dass sie ein Business sind. Eine Band ist ein Unternehmen mit einem Produkt.» Die Bands erkennen diese Tatsache zu wenig, sagt Berends. «Sie müssen verstehen, dass sie diejenigen sind, die alle bezahlen. Die Bands sind die Bosse. Sie sind nicht nur kreative Chaos-Weirdos, sondern auch Geschäftsleute.»

Zwei Aspekte, die nicht einfach zu vereinen sind: Kreativität und Marktwirtschaft. «Der Musiker als Künstler will kreativ sein, sich nicht mit Social Media oder der Buchhaltung aufhalten.» Zum Glück ändere sich diese Einstellung langsam, sagt Berends.

Insofern funktioniert das European Talent Exchange Programme nur dann, wenn die Band diese Haltung verinnerlicht hat. Das Programm gibt dann noch den letzten Kick um international durchzustarten. Live-Auftritte sind die letzte grosse Einnahmequelle der Musik. Und in Europa gibt es fast 3000 relevante Festivals. Da liegt das Geld.