Eigentlich ist die südkoreanische Sängerin Youn Sun Nah ein Star der Jazz-Szene. Auf ihrem neuen Album «Immersion» spielt sie aber mit Pop- und Elektro-Klängen. Live wird sie das unter anderem in Zürich präsentieren – und dieser Gedanke macht sie ziemlich nervös, wie sie im Interview sagt.
Hallo Youn Sun Nah! Bist du gerade in Südkorea oder in New York?
Youn Sun Nah: Haha, ich bin in Frankfurt. Heute Abend singe ich erstmals eine ganze Show mit Big Band. Ich bin gespannt, wie das wird.
Machst du so Frank-Sinatra-Standards?
Nein, meine eigenen Songs, arrangiert für Big Band. Das wird komplett anders klingen, als ich es gewohnt bin. Viel üppiger und voller.
Auf deinem neuen Album Immersion machst du genau das Gegenteil. Totaler Minimalismus ist dort das Konzept.
Das stimmt – und das entspricht auch mehr meinem Naturell und meinem Stil. Ich habe alle meine Platten bislang völlig akustisch aufgenommen.
Und doch unterscheidet sich Immersion stark von deinen anderen Alben. Wie kommt das?
Ich wollte etwas Neues versuchen, neue Klänge erforschen und mir vor allem mal etwas Zeit nehmen, um ein Album aufzunehmen. Die anderen Platten entstanden jeweils in zwei Tagen. Mit der Jazzband ins Studio, alles live eingespielt, ein oder zwei Takes, fertig. Das ist das Schöne am Jazz. Er entsteht spontan und braucht deshalb keine Entwicklungszeit. Aber jetzt war mir mal nach Tüfteln.
Wie kamst du auf diese teils ungewohnten Sounds aus elektronischen und echten Instrumenten, die deine Gesangslinien untermalen?
Ich brachte die Songs ins Studio und diskutierte sie dann mit meinem Produzenten, der selber auch Multi-Instrumentalist ist. Er hatte Ideen, ich hatte andere. Wir spielten alles Mal zu zweit ein. Später kam ein Cellist hinzu, der sich ebenfalls als Multi-Instrumentalist erwies und weitere Sounds hinzufügte. Es war eine Art Aufbau.
Sind da in dem Fall gar keine elektronischen Sounds drauf?
Doch, absolut. Mein Produzent hat diesen faszinierenden Zugang zur Musik. Er spielt auf der einen Seite mit Elektro-Moogs und solcherlei. Auf der anderen Seite denkt er wie ein klassischer Komponist in den Klängen eines Orchesters. Das erwies sich als ideal für ein Jazz-Album, das mit Pop-Elementen liebäugelt.
Mein Publikum weiss, dass ich keinen reinen Jazz-Hintergrund habe.
Also Jazz ist das nicht mehr, oder?
Ist es kein Jazz? Ist es Jazz? Ich weiss es doch nicht. Im Plattenladen landete das Album jedenfalls im Jazz-Sektor. Aber es ist eindeutig stärker produziert, als das Jazz-Alben üblicherweise sind. Ich bin da auch keine Fachfrau. Ich kenne Jazz erst seit ich 25 Jahre alt bin. Ich lebe ja in New York und komme dort oft in Kontakt mit Musik, von der ich finde, sie sei kein Jazz. Freunde sagen mir dann: «Doch, doch, das ist Jazz.» Mir ist das doch egal.
Musst du nicht Jazz machen, damit dein Publikum dich überhaupt hört?
Muss ich das? Vielleicht schon. Aber mein Publikum weiss auch, dass ich keinen reinen Jazz-Hintergrund habe. Ich mag alle Arten von Musik und mache auch alle. Ich war ein Jazz-Spätzünder.
Weshalb eigentlich?
Ein Freund empfahl mir diese Stilrichtung, weil ich Gesang studieren wollte. Er sagte: «Kannst du Jazz singen, dann kannst du alles singen.» Also liess ich mich darauf ein, und blieb hängen.
Hatte er Recht?
Aus meiner Sicht schon. Ich lernte die ganze Palette der Musik kennen: Harmonien, Technik, Selbstausdruck, Kommunikation. Musik ist organisch. Die Lehre des Jazz‘ bringt einem das bei.
Jazz-Sänger können also alles singen. Gilt das nicht auch für gute Pop-Sänger?
Nein, das glaube ich nicht. Und ich will sie damit nicht abwerten. Die Stimme ist ein Instrument, das unglaublich viele Seiten hat. Eine Mariah Carey etwa ist eine unfassbar gute Sängerin, sie klingt wie eine Meerjungfrau. Aber im Jazz kann ich sie mir beim besten Willen nicht vorstellen.
Willst du dich mit deinem neuen Album von dieser Spartenkultur des Jazz‘ distanzieren und dich dem intelligenten Pop-Publikum öffnen?
Ich wünsche mir das. Ob es klappen wird, kannst du vielleicht besser einschätzen. Was denkst du?
Schon möglich. Ich finde das Spiel mit Elektro- und echten Instrumenten und die Tatsache, dass nicht nur eine dünne, säuselnde, sondern eine offensichtlich hervorragend ausgebildete Frauenstimme drüber singt, interessant. Das könnte funktionieren, auch weil es sich abhebt.
Danke. Ich hoffe es auch.
Hast du eigentlich viele der neuen Songs selber geschrieben?
Etwa die Hälfte. Ich definiere mich selber als Sängerin, nicht als Komponistin. Meine Mitmusiker nötigen mich aber immer wieder, eigene Songs zu schreiben, weil sie der Meinung sind, es sei wichtig für mich, dass ich mich so ausdrücke. Schreiben fällt mir oftmals nicht einfach. Ich arrangiere lieber Cover-Songs so um, dass sie zu meinen eigenen Songs werden.
Wie hast du die neuen Songs denn geschrieben?
Ich hielt mich eine Zeit lang in der Bretagne in Frankreich auf. Die Gegend war extrem inspirierend; das garstige Wetter, die ständigen Stürme, doch wenn die Sonne hervorkam, war es wunderschön. Man fühlt sich sehr lebendig dort. Ich versuchte, Stimmungen der Bretagne aufzunehmen und schrieb zehn Songs dort. Fünf davon nahm ich letztlich aufs Album.
Wie wähltest du die Cover-Songs aus?
Über die Covers mache ich mir jeweils erst Gedanken, wenn ich im Studio bin. Das sind Momentaufnahmen meiner aktuellen Stimmung. Auf Phil Collins’ You Can’t Hurry Love und Marvin Gayes Mercy Mercy Me hatte ich Lust, weil ich gerade einen längeren Artikel über das 60-Jahr-Jubiläum des Soul-Labels Motown gelesen hatte. Auf Sans Toi von Michel Legrand hatte ich Lust, weil ich gerade einen Film gesehen hatte, in dem das Lied vorkam. Meine Version des Chansons gefällt mir sehr und ich wollte sie ihm unbedingt zeigen. Jetzt habe ich aber gehört, dass er gerade eben gestorben ist. Das macht mich unendlich traurig. Ich hätte ihm das Lied so gerne gezeigt.
Zum Schluss gibts noch Leonard Cohens Halleluja. Ist das nicht etwas gar abgenutzt?
Ich weiss nicht. Ich hörte es erstmals von Jeff Buckley und weinte wie ein Schlosshund. Erst später fand ich heraus, dass Leonard Cohen es geschrieben hatte. Ich finde den Song einfach unglaublich kraftvoll. Eines Abends hatte ich die Eingebung, ihn an einem Konzert zu spielen. Ich fragte meinen Gitarristen spontan, ob er es begleiten würde, druckte mir den Text aus und sang es völlig unvorbereitet auf der Bühne. Seither wollte ich es aufnehmen.
Der Song beginnt mit einer Art Orgel, die Töne spielt, die den gesamten Song hindurch permanent präsent bleiben. Sind das alle zwölf Töne der Tonleiter auf einen Schlag?
Ich weiss es ehrlich gesagt nicht, es könnte aber sein. Das war mein Produzent, der das einspielte. Eine Orgel ist es auf jeden Fall nicht, sondern ein elektronisches Instrument, eine Art Moog. Ich frage mich auch, wie wir das auf die Bühne bringen sollen.
Wie viele seid Ihr denn?
Wir sind nur zu dritt. Der Gitarrist spielt auch noch Klavier und bedient den Laptop. Der Bassist ist auch noch Drummer.
Aber nicht gleichzeitig oder?
Nein, entweder oder. Es ist ein Glücksfall, dass ich ihn fand. Er war mal Bassist, hatte dann die Nase voll und wollte Drummer werden. Jetzt kann er beides perfekt.
Du spielst in Zürich in einer Kirche. Passt das für dieses Elektro-Setting?
Ich war da schon einmal. Das passt wunderbar. Es ist auch nicht alles Elektro. Wir werden sicher sämtliche neuen Songs spielen, einige davon aber auch voll akustisch. Dazu ein paar Ältere ohne die Elektro-Arrangements.
Habt ihr die neuen Songs schon live ausprobiert?
Nein. Und das macht mich auch extrem nervös. Ich habe keine Ahnung, wie das wird, und wie wir das machen werden. Aber ich bin ohnehin immer nervös.
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Konzert
Youn Sun Nah spielt am Mittwoch, 13. März, Kirche Neumünster Zürich. Alle Infos zum Konzert findest du hier.
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