Mit einem Empörung provozierenden Teaser kündigten Rammstein ihre neue Single «Deutschland» an. Der Song selbst aber beschreibt das Land brillant in seiner heutigen Verfassung.
«Wer den Holocaust jedoch zu Marketingzwecken missbraucht, handelt verwerflich und unmoralisch», sagte Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Es war die Reaktion auf eine 35-sekündigen Trailer, den Rammstein veröffentlichten. Der kurze Clip zeigte die Band als KZ-Häftlinge am Galgen. Natürlich war dieser Ausschnitt exakt kalkuliert: Die erfolgreichste Band Deutschlands schaffte es innert kurzer Zeit – ein Jahrzehnt nach ihrem letzten Album Liebe ist für alle da – wieder in die Schlagzeilen.
Die Provokation gehört zum Repertoire Rammsteins. Und sind wir ehrlich: Sie ist meist so plump, dass man sich an den Kopf fasst, wenn die Empörung hochkocht. Spätestens nun ist es klar, wo wir das ganze Bild vor Augen haben, das Rammstein in ihrer neuen Single Deutschland zeichnen: Der erste Vorbote des anstehenden, siebten Albums ist eine raffinierte Abrechnung mit dem Zustand des Landes. Ein über 9-minütiges Fanal.
In gewohnt martialischer Manier hämmert die Truppe – und unterfüttert in den spartanischen Phrasen mit Bedeutung. In Deutschland richtet sich der Monolog an das Land selbst. «Mein Herz in Flammen. Ich will dich lieben und verdammen», singt Frontmann Till Lindemann im Refrain. In wenigen Worten kristallisiert sich der ewige Kampf Deutschlands mit dem Begriff Heimat zwischen Vergangenheitsbewältigung und Stolz auf die grossen Errungenschaften des Landes. «Dein Atem kalt. So jung und doch so alt», heisst es weiter. Rammstein spannen den Bogen – visuell unterstützt im epochal-bizarren Video – vom römischen Reich bis zum geteilten Deutschland.
Und dann positionieren sich Rammstein so deutlich wie nie gegen den Nationalismus: «Deine Liebe ist Fluch und Segen. Meine Liebe kann ich dir nicht geben.» Weiter heisst es im Text: «Übermächtig. Überflüssig. Übermenschen. Überdrüssig. Wer hoch steigt, der wird tief fallen. Deutschland, Deutschland über allen.» Mit den letzten Worten dieser Zeile zeigt das Video eine dunkelhäutige Germania, die über die weissen Ritter herrscht.
In gewisser Weise lassen sich Parallelen zu Ich will ziehen, der zwar bereits im April 2001 auf dem Album Mutter erschien, aber mit dem dazugehörigen Video nach den Anschlägen vom 11. September in die Kritik kam. Rückblickend beschreibt Ich will ebenso wie Deutschland eine gesellschaftliches Phänomen: den Terrorismus als effektives Werkzeug der Aufmerksamkeitsökonomie. Ein Stück, das selbst 2019 im Hinblick auf das rechtsradikale Attentat von Christchurch nichts an Relevanz verloren hat.
Deutschland packt das Momentum der Zeit so kraftvoll wie kein zweiter Song. Die Single umreisst die Aktualität, das Erstarken rechter und nationalistischer Tendenzen ohne dabei schulmeisterlich ermahnend zu sein. Es ist ein vernichtendes Selbstbildnis eines Landes, das gegen das Vergessen kämpft, mit sich selbst hadert und mehr als je zuvor am Scheideweg der Geschichte zu sein scheint.