Ein Umzug ist Therapie

Umziehen bedeutet, das eigene Heim aufzugeben, jemand anderem zu überlassen. Umziehen bedeutet, sein Leben in Kisten zu verpacken. Umziehen bedeutet, Dinge mitzunehmen und andere dort zu lassen. Zwischen Schweissperlen und Melancholie habe ich dabei den einen oder anderen Schatz ausgegraben.

Foto: Katja Lindenmann
Foto: Katja Lindenmann

Drei Kisten sind es. Nur drei. Nur drei zum Schleppen, nur drei zum Auspacken. Nur drei. Das ist also mein Leben. Hat in drei Kisten Platz. Das ist nicht viel, ist doch immerhin ein, also mein, Leben. Naja, die Kleider auf den Bügeln sind ja auch schon weg, die Bücher auch. Ja, die Bücher hätten noch zwei Kisten gefüllt. Schuhe kämen auch noch dazu.

Ich klebe die eine Kiste zu, da passt jetzt echt nichts mehr rein. Das Klebeband quietscht. Ich mache mir irgendwie immer Sorgen, dass ich mich an den Abreisszacken verletzen könnte. So beim schwungvoll genervten Abreissen. Das Zeug klebt nicht so gut, wie ich mir das vorgestellt hätte. Noch während ich mich an die zweite Kiste mache, höre ich, wie sich das Klebeband von der ersten Kiste langsam wieder löst. Die Sachen wollen wohl nicht eingesperrt bleiben. Ich denke an Toy Story. Was, wenn die Sachen doch alle… Nein, den Gedanken denke ich nicht zu Ende, noch nicht einmal für diesen Artikel. Habe früher all meinen Kuscheltieren gute Nacht gesagt. Das war vielleicht eine Aufgabe. Jedes hatte natürlich einen Namen und ich hatte immer ein furchtbar schlechtes Gewissen, wenn ich bei einem den Namen vergessen hatte. Mehrmals zählte ich damals mit zufallenden Augen nach, damit auch ja keines ohne einen Gutenachtgruss schlafen gehen musste.

Aus den Augen, aus dem Sinn

Das alles denke ich mir, während mir die Abreisszacken des Klebebands jederzeit die Adern aufschlitzen könnten. Was für Gedanken! Muss an der Müdigkeit und dem Stress liegen. Ich hab jetzt keine Zeit, um mich zu fragen, wie das denn wäre, wenn jetzt tätsächlich die Spielzeuge alle lebten… Das wäre ja auch total unrealistisch. Der Mensch weiss ja heute alles. Ich auch. Darum entscheide ich, die leben nicht. Entscheide ich einfach so, übe Macht aus. Über die Kuscheltiere und meine Gedanken. Packe sie ein. So geht das: Aus den Augen aus dem Sinn. Die eine Kiste, die lasse ich noch auf, morgen kommt bestimmt noch was rein. Das rote Gestell ist immer noch voll. Daran habe ich mich noch nicht gewagt. Fünfzehn Jahre habe ich in diesem Zimmer geschlafen. Wie oft ich dieses Gestell wohl schon abgestaubt habe? Zu wenig und doch viele Male. Ich packe Dinge ein, die ich noch nie eingepackt habe. Die unbedeutenden Dinge eben, die man besitzt, die unbewegt Jahrzehnte übestehen, die eigentlich nicht notwendig sind − sonst hätte man sie doch mindestens einmal irgendwo hin mitgenommen? – und die man doch nicht wegwerfen kann. Ist es eigentlich die Zeit, die diesen Dingen Wert verleiht? So konnte ich ein Bild, das ich aus einer Zeitschrift herausgerissen hatte und das seit vielen Jahren an meiner Wand hing, beim besten Willen nicht wegschmeissen. Ging nicht. Der Gedanke tat mir im Herzen weh. Ab in die Kiste. Je mehr Kisten, desto radikaler werde ich.

Spät am Abend vor dem Zügeltag schmeisse ich dann doch noch einige Schuhpaare weg. Bloss nicht darüber nachdenken. Jetzt ist es soweit. Mein Leben ist eingepackt. Ich freue mich auf mein neues Zuhause. Der Umzug war eine bewusste Entscheidung, die ich mitgetroffen habe. Und trotzdem: Wegzugehen fühlt sich seltsam an, irgendwas in mir sträubt sich dagegen. Es ist die Angst, kein Zuhause zu haben. Auch wenn es nur auf der Fahrt vom alten ins neue Heim ist. In dieser halben Stunde bin ich eigentlich obdachlos. Wenn mir das schon Angst macht, wenn doch alles schon geplant ist, wie muss sich da jemand fühlen, der von einer Sekunde auf die andere sein Haus verliert? Durch eine Naturkatastrophe, durch Krieg? Das kommt zahlreich auf der Welt vor und mir wird es mulmig zumute, weil ich nach 15 Jahren eine gewohnte Umgebung verlasse; verlassen darf.

10 Jahre technischer Fortschritt

Beim Einpacken wird einem so schön bewusst, was man alles hat. Nur drei Kisten und doch; so viele Dinge wandern rein, die man kaum je benutzt. Von vielem versuche ich mich zu trennen. Verpackungen und Anleitungen, die eh nie jemand braucht und die man sich doch sonst nie trauen würde wegzuschmeissen, wandern in den Abfall. Man ist doch sonst zu bequem. Das hatte ja alles seinen Platz, hat kaum gestört, wäre wohl ewig dort geblieben; wäre man nur nicht umgezogen. Über jedes Teil, das in den dritten Karton soll, fälle ich ein Urteil: Leben oder Tod. Ist ganz befreiend. Und eigentlich ja auch wichtig, dass man das Bewusstsein hat, was man besitzt. Es ist überraschend, wie viele Dinge auch in einem kleinen Zimmer verloren gehen oder einfach nur schon zu lange dort sind. Fotos, die seit Jahren herumstehen. Bilder, die ich schon so lange nicht mehr wirklich angesehen habe. Sie waren doch ständig im Blickfeld, ich weiss doch was drauf ist und doch weiss ich es nicht. Ich lächle, als ich die Gesichter auf den Bildern sehe und mich an die Zeit erinnere, in der sie gemacht wurden. Jedes Bild wird sorgfältig verpackt, darf auf keinen Fall kaputt gehen.

In einer Kiste hat sich der Kabelsalat von 10 Jahren technischem Fortschritt angesammelt. Scheisse, habe ich das alles echt miterlebt? Auch da muss ich durch, habe schliesslich gerade vorhin eine Ewigkeit meine Ketten entwirrt, da werde ich auch damit fertig. Wozu wohl dieser Stecker gehört? Keine Ahnung, also weg damit. Immer wieder finde ich diese Gummipolster für Ohrstöpsel. Ich wette, jeder hat davon eine Sammlung zu Hause und war doch zu faul sie nur schon auszupacken, geschweige denn tatsächlich zu benutzen.

Mein Schatz

Ich arbeite mich weiter vor, bald ist es geschafft.-Und dann entdecke ich ihn. Ich halte kurz inne, wieder breitet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. Ganz zu unterst, seit Jahren wieder einmal an der frischen Luft, liegt mein Gameboy. Natürlich in Rosa, natürlich zerkratzt und mit fehlender Abdeckung über den Batterien. Die liegt noch weiter unten. Der Klebstreifen, mit dem sie angeklebt war, hat den Geist nun vollends aufgegeben. Wie einen Schatz halte ich ihn in den Händen und schiebe das kleine Riegelchen auf on. Das vertraute Gebimmel geht los, Donkey Kong begrüsst mich und ich kann nicht anders, ich muss mein Lieblingsland durchspielen, klappt noch beinahe wie früher. Der Gameboy muss mit, keine Frage. Endlich klebe ich auch den letzten Karton zu, es kann losgehen.

Umziehen heisst Abschied nehmen und abschliessen, Umziehen heisst aber auch, in der Vergangenheit zu wühlen, Erinnerungen aufleben zu lassen und sich selbst in dem Chaos zu finden. Zu erkennen: Das alles in diesen Kisten, das bin ich. Ich komme mit und starte neu.