Vom Strassenmusiker zur Sumsefliege

Bild: Francesco Tancredi

Der Zürcher Jan Dutler spielt eine der Hauptrollen in der neuen Produktion des Cirque du Soleil. Vor der Premiere nahm er sich Zeit um mit uns über seine Arbeit zu sprechen.

Jan Dutler spielt eine der Hauptrollen in «OVO», einer Produktion des Cirque du Soleil, die im Oktober als Arena-Show in die Schweiz kommt. Er ist ein Lebemann und scheint für das Künstlerleben geboren worden zu sein. Trotzdem vermisst er seine Familie in der Schweiz und nutzt die Gelegenheit der Europapremiere in Zürich um seine Freunde und Verwandten zu besuchen. Er nahm sich einen Tag vor der Premiere Zeit um mit uns über den Cirque du Soleil, seine Herkunft und seine Erfahrungen zu sprechen.

Juhu, ein Schweizer in der Hauptrolle. Da brauche ich ja meine Englischkünste gar nicht auszupacken. Woher kommst du denn aus der Schweiz?

Ich komme aus Hütten. Hütten bei Zürich, einem 500-Seelen-Kaff. Obwohl – wenn man die Kühe dazu zählt, dann sind es eher 1‘500, also doppelt so viele Kühe wie Einwohner.

Und wie kommt man von einem 500-Seelen-Dorf zum Cirque du Soleil?

Angefangen hat alles mit einer Lehre als Zimmermann, dann habe ich jedoch gemerkt, dass mich das nicht erfüllt und habe dann eine Wanderung angetreten. Ich zog als Strassenmusiker von Ort zu Ort und verdiente so lange Zeit meine Brötchen.

Ein Musiker also, was spielst du denn?

Ich beatboxte und hatte einen Looper. Ah, und Posaune… Und Maulgeige… Und gesungen habe ich auch. Sogar auf Schweizerdeutsch. So kam ich eine Zeit lang ganz gut über die Runden, hatte kleinere Auftritte überall auf der Welt. Habe insgesamt etwa 10‘000 CDs verkauft und konnte Länder wie Australien und Neuseeland bereisen.

Jetzt hast du mir noch nicht gesagt, wie du zum Cirque du Soleil kamst?

Ich kam 2014 zurück in die Schweiz und besuchte mit etwas finanzieller Unterstützung die Clown- und Comedy-Schule «Francine Cottet» in Montreal. Ich nahm in der Turnhalle in Hütten die Bewerbungsvideos für den Cirque du Soleil auf und wurde für die Rolle der blauen Fliege in «OVO» angenommen.

Klingt nach einem Traum, der in Erfüllung geht! Du sagtest, du hast eine Clown- und Comedy-Schule besucht. Wie schaffst du es, trotzdem fit genug zu sein für eine Hauptrolle beim Cirque du Soleil, der doch sehr artistisch ist?

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Bild: Francesco Tancredi

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Halt, halt! Ich bin kein Akrobat! Klar sind die Auftritte anstrengend, aber ich bin kein Trapezkünstler und turne nicht im Kostüm herum. Ich vermittle die Geschichte von «OVO»: Die handelt von einer Insektenkolonie und ich bin der Neuankömmling. Hauptsächlich arbeite ich mit Geräuschen, Gestik und Mimik. Ich erzähle eine komplette Geschichte, ohne wirkliche Worte oder Sätze zu benutzen, manchmal ein paar Ausrufe, jedoch oft auch einfach nur durch die Körperhaltung betonte Handlung.

Alles klar, auf der Bühne verständigst du dich also hauptsächlich mit Körpersprache und Mückensurrgeräuschen. Und hinter der Bühne, mit der Cirque du Soleil-Crew?

Viel auf Englisch. Wir haben hier Künstler aus 20 verschiedenen Nationen vertreten. Dazu kommen die ganzen Techniker, Bühnenbildner, Kostümbildner und so weiter. Wir sind über hundert Leute, die von Ort zu Ort ziehen, mit zwei Personen kann ich mich sogar auf Hochdeutsch unterhalten.

Und wie ist das Verhältnis unter euch so?

Toll! Wir verstehen uns alle echt gut. Meistens ist es aber so, dass man hinter der Bühne nicht mit den gleichen Leuten Kontakt hat, wie auf der Bühne, es kommt halt immer darauf an, was man für Interessen teilt. Am Montag und am Dienstag haben wir im normalerweise frei. Wenn wir dann nicht gerade Freunde und Verwandte besuchen, wie ich, da wir gerade in der Schweiz spielen, machen wir da oft kleine Ausflüge oder spielen zum Beispiel Schach miteinander. Dabei sind vor allem die Russen ungeschlagen!

Fehlt da nicht ein wenig die Abwechslung, wenn man ständig mit den gleichen Leuten unterwegs ist?

Gar nicht. Wir sind eigentlich froh um ein wenig Beständigkeit. Durch das viele Reisen und den ständigen Städtewechsel haben wir schon Abwechslung genug. Daher ist es schön, dass hier im Backstage-Bereich alles immer gleich aufgebaut wird, die Kostümecke ist egal in welcher Halle wir sind, immer am gleichen Ort, genauso wie unser Dschungel, so nennen wir den Bereich in dem die Akrobaten abgesichert ihre Kunststücke üben können. Das Trampolin und die grosse Matte, alles immer gleich. Da sind wir echt froh drum.

Du hast vorhin erwähnt, dass du deine Familie besuchst, während du in der Schweiz bist. Wie oft siehst du sie denn sonst?

Zu selten. Das ist etwas, was ich vermisse und was echt kompliziert ist. Auch mit meiner Freundin, die aus Kanada kommt. Wir mussten eine lange Zeit eine Fernbeziehung führen. Zum Glück ist sie mittlerweile verlobt, also mit mir, und seitdem sehen wir uns auch etwas öfters. Sie ist jetzt momentan auch in der Schweiz und konnte als Kostümbildnerin einspringen. Sie ist freischaffende Bühnen- und Kostümbildnerin, hat aber noch keine richtige Stelle beim Cirque du Soleil. Wir hoffen, dass sie in Genf dann nochmals mithelfen kann und wir uns auf der Europatour noch oft sehen können.

Die Familie sehe ich auch nicht all zu oft. Deshalb geniesse ich es momentan bei einem Verwandten auf der Couch zu schlafen und mal wieder Schweizerdeutsch zu reden.

«Durch Repetition erreicht man Perfektion.»

Was hat dich der Cirque du Soleil gelehrt?

Durch Repetition erreicht man Perfektion. Die ganze Show wäre gar nicht möglich, wenn sie nicht perfekt einstudiert wäre und so präzise verläuft, wie sie es tut. So etwas kann man nicht improvisieren.

Bild: Francesco Tancredi

Was ist dein bisher eindrücklichstes Erlebnis, seit du beim Cirque du Soleil bist?

Das Eindrücklichste ist plötzlich vor tausenden von Menschen zu spielen. Vorher waren es vielleicht mal 40 oder 50 pro Auftritt. Auf einmal sitzen da Tausende und das Abend für Abend. Und weisst du, was spannend ist? Sobald unter den tausend fremden Menschen ein bis zwei bekannte Gesichter sitzen, ist man auf einmal wieder supernervös.

Na dann kannst du dich ja auf was gefasst machen: Wenn du in der Schweiz spielst, hast du sicher jeden Abend ein paar bekannte Gesichter im Publikum sitzen.

Ja, habe ich wirklich jeden Abend, aber ich freue mich auch riesig darüber.

Was ist eigentlich nach dem Cirque du Soleil geplant?

Mein Vertrag läuft auf Ende Jahr aus. Dann werde ich mir sicherlich erst mal drei Monate Auszeit nehmen. Zeit für meine Familie und meine Verlobte. Zudem möchte ich einen Marionettenworkshop machen und meine Clownfähigkeiten weiter ausbauen. Jedoch zieht’s mich auch wieder zurück zur Musik. Ich habe einiges im Kopf, was ich gerne umwandeln möchte, vielleicht komponiere ich mal wieder etwas.

Die Ideen gehen dir also nicht aus! Herzlichen Dank für das Interview und eine gelungene Premiere von «OVO».