Die Orchester-Platte: Beach Boys oder Kitsch Boys?

Bild: zvg

Auf einem neuen Doppelalbum ergänzt das Royal Philharmonic Orchestra alte Beach-Boys-Kompositionen mit symphonischen Klängen. Das gelingt nur dort, wo man’s nicht erwartet.

Brian Wilson, das Mastermind der Beach Boys, gilt als Pop-Mozart. Ein orchestral denkendes Musikgenie, das auf ein Instrumentarium jenseits des klassischen Orchesters zurückgreift. Insofern kann man sich durchaus wundern: Was soll diese neue Platte jetzt bitteschön? Beach-Boys-Hits mit einem klassischen Symphonieorchester aufarrangiert. Allein die vokalen Harmonien der Originalaufnahmen stellen ja zuweilen schon ein Kammerorchester in den Schatten. Kommen die irrwitzigen Arrangements des Mister Wilsons der späten 60er hinzu, die von der Kuhglocke bis zum Cembalo reichen und die Möglichkeiten des Orchesters bei Weitem sprengen. Hätte Wilson ein Orchester auf diesen Songs gewollt, hätte er es aufgenommen. Hat er aber nicht.

Allerdings – und das gibt dem Fan ein bisschen Zuversicht – stellt sich die ganze noch lebende Band hinter das Projekt, sogar Wirrkopf Wilson, der sich beim Royal Philharmonic Orchestra für den Ohrenschmaus bedankt. Oder Bruce Johnston, der das Album als «mehr als 100 Prozent Perfektion» huldigt und Al Jardine, der seine alten Songs kaum wiedererkennt und darob ganz begeistert ist. Aber hören wir mal rein.

Pathos zum Start

Die Platte – für Hardcore-Fans aus akustischen und visuellen Gründen in der Version oranges Vinyl zu empfehlen – beginnt mit einer frisch komponierten California Suite, die sich zu ihrem Ende charmant an den Superhit California Girls schmiegt. Bis dahin ist das Pathos im Stil der Kinofilmklassik. Doch mit dem auf der Hammond gesurrten Original-Intro von California Girls ändert sich das zackig.

Von nun an dominieren die Ur-Aufnahmen aus den 60ern. Das Orchester versteckt sich, versucht minimalistisch die Dynamik zu unterstreichen, macht das Klangbild teils etwas üppiger, bunter, breiter. Stellenweise verschmiert das Orchester jedoch die Klarheit des Ur-Arrangements. Oder noch schlimmer: Das Orchester fällt nicht mal auf. Wouldn’t it be nice ist so ein Fall. Da stellen die Arrangeure ein Violinen-Horn-Intro vors Original-Intro. Doch kaum nimmt der Song Fahrt auf, verabschiedet sich das Orchester in die Irrelevanz. Ist auch kein Wunder. Im Original spielen schon Harfen, Glockenspiele, Saxofone. Erst in der Endlosschlaufe zum Schluss zirpen die Violinen nochmals zwischen den gewohnten Verlauf des Songs, was ihn nicht besser macht.

In anderen Fällen funktioniert die Ergänzung des Arrangements hervorragend. Etwa in Fun, Fun, Fun. Das wiederum vors originale Intro gestellte Orchesterintro verfliesst perfekt mit den Rock’n’Roll-Gitarren. Danach fügen sich die Streicher angenehm zwischen die knurrenden Rock-Grooves und verleihen dem Song einen flauschigen Teppichboden.

Nicht jeder Song eignet sich

Weshalb funktioniert es hier, dort aber nicht? Das hat eindeutig mit der Entwicklung von Brian Wilson als Arrangeur und Produzent zu tun und der im Laufe der 60er-Jahre zunehmenden Komplexität seiner Kompositionen. Auf Pet Sounds von 1966, seinem Höhepunkt, arbeitete Wilson mit einem Orchester im Studio. Klänge, die es nicht auf die Platte geschafft haben, sind dort nicht erwünscht. Wouldn’t it be nice, Sloop John B., Good Vibrations oder God only knows erfahren deshalb keinerlei Aufwertung. Frühere Kompostitonen, wie eben Fun, Fun, Fun, Don’t worry Baby oder In my Room können das neue Make-Up hingegen durchaus vertragen.

Allerdings steckt in dieser Orchestrierung noch ein zweites Problem. Die Dirigenten Steve Sidwell and Sally Herbert stürzen sich fast ausschliesslich auf die grossen Hits der Strandbuben. Kommerziell betrachtet ist das wohl vernünftig. Künstlerisch aber nicht. Denn die Hits sind besetzt. Wer mit denen herumspielt, kann fast nur scheitern.

Die Schattensongs funktionieren am besten

So wundert es nicht, dass die Highlights der Platte die paar wenigen Schattensongs wie Disney Girls, The Warmth of the Sun oder Here Today sind. Und You still believe in me – Einer der schönsten, wenngleich kommerziell nicht erfolgreichen Songs von Pet Sounds. Eigentlich sollte man ihn nicht anrühren. Die Arrangeure tun es doch. Und das mit Erfolg. Die orchestrale Wucht haut den Song in eine neue Sphäre, von der Wilson wohl nicht zu träumen wagte, als er die Komposition 1966 ziemlich minimalistisch aufnahm. So muss selbst der Pop-Mozart einräumen, dass er zu jener Zeit nicht unfehlbar war.

Nichts desto trotz wärs schön, ein auforchestriertes Album mit weniger bekannten Beach-Boys-Nummern präsentiert zu bekommen – mit Songs, die kreativen Spielraum lassen. Von den grossen 70er-Jahr-Alben wie «Sunflower», «The Beach Boys love you» oder «Surf’s Up». Unsere Songwünsche: ‚Til I die. Endless Harmony. All this is that. Forever. Deirdre. Ach, das Repertoire wäre schier endlos.

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