Die Wahrheit über Werbelöcher

Mit dem Charisma einer Filzpantoffel singt Aydo Abay zusammen mit Jonas Pfetzig, dem Gitarristen von Juli, auf der EP «Blank Sheets». Was das mit dir zu tun hat? Im Grunde alles.

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Kurt Tucholsky hat einmal geschrieben: «Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist. Das Loch ist der ewige Kompagnon des Nicht-Lochs. Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut.» Sich dessen bewusst zu werden, dass ein Loch oder gar ein Löchlein durch sein Sein erst das Nichtsein eines Lochs ausmacht, hat so seine Annehmlichkeiten, man kann darüber schmunzeln oder sich darüber furchtbar aufregen. Die meisten Menschen denken, wenn sie an Löcher denken, an ein rundes Loch. Die Geschichte mit den Löchern spiegelt im Grunde die ganze Malaise wider, mit der wir es hier auf dieser EP Blank Sheets von ABAY zu tun haben. Im Grunde, diese Betonung liegt mir sehr am Herzen, darf sie, die EP mit ihren neun Titeln, so stehen, atmen und vor sich hin vegetieren, sich verkaufen und sich unmittelbar anhören lassen, wie es ihr beliebt. Dennoch ist sie ein Loch. Ein mieses noch dazu.

Die Platte von ABAY gehört nämlich in den Gefühlshaushalt lächelnder Ehepaare einer Reka-Check TV-Werbung (wenn es sie dann gäbe):

Freudig mit Wanderschuh und Stock, Rucksack und Käppi bereisen die beiden Eidgenossen Herr und Frau Muster, beide mit gesundem Teint, von mir aus auch mit einem angebissenen Apfel in der Hand, das so und so Oberland. Im Seilbähnchen eines eidgenössischen Seilbähnchen-Betriebs im nochmals eidgenössischeren Berggebiet stellt das Ehepaar Muster mit Staunen fest: Es ist ein super Tag! Frau Muster streicht eine blonde Haarsträhne aus ihrem Gesicht, die sympathische Mittvierzigerin in ihrer roten Wanderjacke hat sichtlich gute Laune. Ihr Mann, Herr Muster, mit der randlosen Brille auf der Nase, trägt einen Kurzhaarschnitt und zeigt im Werbespot mit dem Finger auf den so und so Spitz im Bergpanorama, welches die beiden aus dem Seilbähnchenfenster des Seilbähnchens sichten. Das Ehepaar Muster freut sich freilich an der Natur und daran, all das mit Reka-Geld bezahlt zu haben. Mit diesen quirligen blauen 10er-Nötchen, die das Matterhorn abbilden. Lumpi, der drollig wirkende Goldenretriever, hat auch einen Reka-Check und freut sich, gemeinsam mit Herr und Frau Muster, auf die Cervelats im Rucksack. Die Werbung (wenn es sie denn gäbe) geht nur etwa eine knappe Minute. Reicht also völlig aus, um Lumpi im Werbespot über Stock und Stein zu jagen und dann in eine Pfütze springen zu lassen. Genügend Zeit, dass Frau Muster, mit einem zufriedenen Lächeln, die Augen sinnlich schließt, ihren Kopf in den Nacken wirft und frisches Sonnenlicht ihre Nasenspitze kitzelt, als sie auf einem ach so schön geschnitzten Holzbänklein am Rastplatz ausruht. In dieser kurzen Zeitspanne tritt Herr Muster an die Feuerstelle heran, sichtlich beglückt, mit einem dünnen Stecken aus Holz in der Hand, den er mit einem Messer zurechtgeschürft hat, um die gute Wurst daran zu befestigen. Den Pullover hat er, Mr. Muster, sich lässig um die Hüfte gebunden. Eine unglaublich gute, warme, tiefe Stimme aus dem Off schildert die Vorzüge der Reka-Checks, überhaupt, das ganze wohlig-gesunde Lebens-ge-füh-hü-l Herr und Frau Musters in dieser Werbung (wenn es sie denn gäbe). In dieser Werbung ist alles rund. Keine Ecken, keine Kanten. Und im Grunde dasselbe wie mit ABAYs EP Blank Sheets. Post Pop, an Banalität und ausgefrotzelten Melodien nicht zu übertreffen. Keine Obszönitäten, kein Humor. Alles hört sich so schrecklich uniform an, so unschuldig. Nichts ist böse, anrüchig, kategorisierend. Es ist ein Loch, ein Werbeloch, das sich gut anfühlt, und deshalb auch so schrecklich ist. Gefüllt wird dieses Loch mit Reka-Check-Gefühlen aus guter Freundschaft und Vertrauen, guter Luft und Natur. Aus dem selben Grund warum Lumpi in der TV-Werbung (wenn es sie denn gäbe) keine Glubschaugen-Bambis oder Kleinkinder vorbeistreifender Wanderer reisst, weswegen Herr Muster bei diesem absolut scheußlich schönen Wetter nicht vom Steinschlag getroffen wird und Frau Muster statt einem großen Ausschnitt und einer kubanischen Zigarre zwischen den Zähnen, einen dunkelgrünen Faserpelz trägt und sorgsam eingewickelte Eingeklemmte aus dem schwarzvioletten Wanderrucksack kramt, ist ABAYs EP ein fades Stück ausladende Ausführlichkeit. Kein Knittern oder Knattern. Komatös schleicht diese EP vor sich hin. Abschalten! Nieder mit diesen unschuldigen und frischen Laken, diesen Blank Sheets. Nieder mit diesen schmierig pomadigen Assoziationen zur Reka-Check TV-Werbung (wenn es sie denn gäbe). Ich glaube dieser EP, Herr und Frau Muster, am wenigsten diesem Köter Lumpi, kein Sterbenswörtchen! Und wenn alle drei noch so fröhlich in die Pfütze springen würden, alles gespielter Blödsinn. Durchschaubar, wie ein löchriger Flickenteppich.