«Es ist ein Weg, der steinig sein muss.»

Wenn der Zürcher Club X-Tra sowas wie die Heimstätte von The Beauty of Gemina ist, so markiert die Kammgarn in Schaffhausen ein Wendepunkt in der Band-Geschichte. 2009 bestritt Bassist David Vetsch seinen ersten Auftritt, 2012 spielt Live-Gitarrist Dennis Mungo zum letzten Mal mit. Wir sprachen vor dem Konzert mit Sänger Michael Sele über Erfahrungen, Erfolg und Wertschätzung.

The Beauty of Gemina live in Schaffhausen (Janosch Tröhler)

 

jt. Er ist das Mastermind von The Beauty of Gemina: Songwriter, Sänger und Produzent zugleich. Michael Sele zündet sich in der noch menschenleeren Kammgarn eine Zigarette an. 2006 begann die Geschichte der Band, die sich bald zum Aushängeschild der Schweizer Wave-Gothic-Szene stilisieren würde. Mit dem Debüt Diary of a Lost und vor allem dem Song Suicide Landscape, der auf Platz 1 der World Gothic Charts stieg und damit gestandene Grössen wie Nightwish oder VNV Nation auf untere Plätze verwies, legten die Musiker einen fulminanten Start hin. Doch auch wenn Sele bereits in jungen Jahren die Musik als seine Ausdrucksform wählte und selber zu experimentieren begann, war die Band nach dem plötzlichen Erfolg noch unerfahren – gerade was die Live-Performance anging.
Als Bassist David Vetsch im April 2009 sein erstes Konzert mit den Beauties absolvierte, stand Michael Sele mir schon einmal Rede und Antwort, damals noch für imscheinwerfer.ch. Nach drei ereignisreichen Jahren war es Zeit für einen Rückblick:

«Die Kammgarn stellt für The Beauty of Gemina immer ein Veränderung dar. Vor drei Jahren das erste Mal mit David, heute das letzte Mal mit Dennis als Live-Gitarrist. In der Zeit zwischen diesen Wendepunkten haben wir in anderen Ländern und auf grossen Festivals enorm viel Live-Erfahrung gesammelt. Die Reise mit The Beauty of Gemina wurde Teil unseres Lebens.»

Und gereist sind die Musiker: 50’000 Kilometer haben sie zurückgelegt. Doch neben der Musik waren vor allem die unzähligen Begegnungen mit Menschen aus Ländern, die Sele privat wahrscheinlich nie besucht hätte, prägend und bedeutend. Die Dankbarkeit, diese Lebenserfahrung dank der Band, dank der Musik sammeln zu können, ist dem hochgewachsenen Mann mit den markanten weissen Haaren anzuhören. An effektiv negative Erlebnisse kann er sich nicht erinnern. Nur die Wertschätzung sei nicht überall gleich. Gerade an Festivals, wo man einer von vielen ist, begegnen einem die Veranstalter, Techniker, die Crews und alle anderen im Hintergrund anders als bei kleinen Club-Shows.

«Es ist ein Weg, der steinig sein muss. Man geht nicht einfach von einem Erfolgserlebniss zum nächsten. Ich musste lernen, Rückschläge als Teil des Ganzen zu erkennen und zu akzeptieren. Dadurch bleibt man aber auch geerdet.»

Der Erfolg, den The Beauty of Gemina in den letzten Jahren zweifellos hatte, veränderte auch den Umgang mit dem Umfeld des Musikbusiness. Durch den Vertrag mit dem Major-Label Universal öffneten sich neue Türen, doch wie jedes Geschäft, bringt es viel Arbeit mit sich und birgt Schattenseiten. Das Durchsetzungsvermögen sei ausschlaggebend. Heute muss man gehört werden. Der grösste Schritt, so Sele, sei es aber, erst in dieses Umfeld zu kömmen. Wichtig sei für ihn in erster Linie der Respekt:

«Ein grosser Teil des Erfolgs ist für mich die Anerkennung meines Schaffens, die ich mittlerweile auf internationaler Ebene von anderen Künstlern erhalte. Musiker, die mich eigentlich auf gleicher Augenhöhe wahrnehmen, die seit zwanzig Jahren erfolgreich sind. Heute kennt man uns auf Festivals und kommt auf uns zu. Das haben wir uns wirklich erarbeitet, Teil dieser Szene zu sein.»

Dass dafür die Qualität von The Beauty of Gemina verantworlich ist, ist dem Sänger bewusst und erfüllt ihn mit Genugtuung. Gleichzeitig ist es positiver Druck, also ein Anspron, weiterhin dieses Niveau zu halten.

Michael Sele ist das Aushängeschild der Band und sein Erscheinungsbild unverwechselbar. Ein Personenkult wird – auf jeden Fall von Seiten der Musiker – nicht geführt, denn die Musik soll im Vordergrund stehen. Und mittlerweile ist die Band an dem Punkt angelangt, wo sich allen voran Sele mit seiner wiedererkennbaren Silouette im Privaten abgrenzen muss.

«Früher dachte ich, es sei cool, wenn die Leute im Einkaufszentrum auf mich zu kommen und mit mir reden wollen. Wenn ich in einem Club auf der Bühne stehe und mich danach im Publikum bewege, ist das wie ein geschützter Rahmen. Dann bin ich gewollt greifbar und suche die Nähe zum Publikum, zu den Fans. Andererseits gibt es die private Welt und da fühle ich mich nicht gerade bedroht, aber beengt.»

Die Popularität der Wave-Formation wurde mit der Veröffentlichung von Iscariot Blues im Frühjahr 2012 zusätzlich gesteigert. Plötzlich traf man auf Artikel in Gratiszeitungen und lauschte den Musikern beim Jugendsender joiz. Dieser Rummel ist auch ein Teil dieses Umfelds, das The Beauty of Gemina nun frisch betritt. Die Vermarktung der eigenen Musik als käufliche Ware ist, so negativ das nun klingt, heute Pflicht. Ansonsten wird man kaum mehr wahrgenommen. Die Kanäle bestehen heute nicht mehr nur aus Fachzeitschriften oder Sondersendungen am Radio oder Fernsehen.

«Natürlich muss man auch lernen, nein zu sagen. Wir haben bei weitem nicht alles gemacht, was wir hätten tun können. Es mussten klare Grenzen gesteckt werden. Doch gerade Medien wie 20 Minuten oder Blick am Abend sind Teil der heutigen Wahrnehmung und auch wichtig für Veranstalter, damit sie den ‚Marktwert’ einer Band einschätzen können.»

Diesen wichtigen Schritt einfach auszulassen, kann sich Sele nicht vorstellen. Es ist eine romantische Idee, Musiker ohne Eigenwerbung zu sein. Die Konsequenz ist daher, sich mit Kompromissen treu zu bleiben und das ins Zentrum zu stellen, was zählt: die Musik. Letztlich ist das Bekannterwerden ein entscheidender Faktor, der früher oder später an Relevanz gewinnt und einem unbequeme Entscheidungen aufzwingt. Gerade Szenebands laufen bei grosser Aufmerksamkeit Gefahr, als kommerziell, uncool oder einfach nicht mehr „true“ abgestempelt zu werden. So haben kleine Veranstalter The Beauty of Gemina nicht mehr gebucht, weil sie nach der grossen Deutschland-Tour mit Unheilig auf einer kleinen Bühne nicht mehr glaubwürdig gewirkt hätten. Das ist natürlich Schwachsinn und die Band liefert die Antwort mit ihrer Musik. Solange ein Grossteil der Radios ihre Songs nicht spielt, weil sie zu depressiv, zu melancholisch oder zu gefährlich seien, ist The Beauty of Gemina noch nicht in dieser Falle gelandet, wie es eben Unheilig ist.

Diesen Herbst gehen die Schweizer mit der deutschen Band Diary of Dreams auf Akustik-Tour durch Deutschland und veröffentlichen Anfang 2013 eine Compilation mit einer Auswahl akustischen Adaptionen ihrer Songs. Bereits bei der Release-Party zum Album At The End Of The Sea spielten sie ganz im kleinen Rahmen solche Versionen. Das habe ihnen unglaublich Spass gemacht, denn schlussendlich geht es darum, den Kern der Songs herauszufiltern, erklärt Sele mit leuchtenden Augen. Bis jetzt hat aber die Zeit gefehlt, ein solches Projekt ernsthaft in Angriff zu nehmen. Nach der langen Erprobung von Rock-Versionen im Studio und auf der Bühne, fühlen sie sich nun bereit für eine andere Art der musikalischen Entfaltung. Zufälligerweise kommt der Moment gerade richtig, als sie von Diary of Dreams für die Akustik-Tour angefragt werden. Dass Songs aufgenommen werden, war bei der Entscheidung bereits klar, denn es ist auch als Geschenk an langjährige Fans zu sehen. Man möchte die Songs in anderen Facetten zeigen.

«Es gibt zum Teil überraschende Neuinterpretationen, die nächstes Jahr Platz haben und veröffentlicht werden, auch für jene, die keine Gelegenheit hatten, ein Akustik-Konzert zu besuchen.»

Geplant ist alles, doch erst in den nächsten Wochen kommt das Akustik-Projekt ins Rollen. Deshalb lässt es sich noch nicht mit Bestimmtheit sagen, wohin sich die Songs bewegen werden. Klar ist, dass Sele als bekennender Klassik-Begeisterter Cello und Violine zumindest im Studio integriert. Live ist die Umsetzung mit Gastmusikern immer eine organisatorische Herausforderung, weshalb auch das noch in den Sternen steht.
Daneben liegt dennoch ein unbeschriebenes Blatt für ein neues, rockiges Album bereit. Der Hunger ist da und die Band möchte die Resonanz und den Schwung von Iscariot Blues mitnehmen. 2013 soll von akustischen sowie rockigen Konzerten geprägt sein und 2014 dann das neue Album erscheinen. Damit würden sie weiterhin im Veröffentlichungsrhythmus bleiben.

Bilder von Verrückte Dichter und The Beauty of Gemina: Janosch Tröhler

[nggallery id=190]