Fishbach – À Ta Merci

Bild: Yann Morrison

«À Ta Merci» ist ein Debütalbum wie es eine Generation nur einmal hervorbringt. Das erste Werk der französischen Sängerin Fishbach ist schon heute ein Klassiker.

Wenn man an französische Musik denkt, springen Akkordeon-Klänge in einem Pariser Bistro ins Gedächtnis. Vielleicht die klassischen Chansons von Edith Piaf, der Rock von Johnny Hallyday oder das beliebige EDM-Geplänkel von David Guetta.

Doch jetzt macht sich abseits des internationalen Scheinwerferlichts eine gelernte Schuhverkäuferin auf den Weg in den Musikolymp. Flora Fischbach alias Fishbach ist erst 26 Jahre alt, aber ihre Musik klingt, als sei sie über Jahrzehnte gereift. Kein Wunder also, dass der Chanteuse den Durchbruch in der Heimat problemlos gelang.

Das Album À Ta Merci erschien in Frankreich bereits im Januar 2017 und räumte den Preis für das beste Independent-Debüt beim «Prix des Indés» ab. Nun erscheint das Album in einer Deluxe-Version. Höchste Zeit also, dem Phänomen Fishbach nachzuspüren.

Göttliche Klänge

Geboren in Dieppe in der Normandie, aufgewachsen in Charleville-Mézières nahe der belgisch-französischen Grenze, verfiel Flora Fischbach zwei Leidenschaften: Der Liebe zu den Schallplatten ihrer Eltern und den Gedichten von Rimbaud.

Sie brach die Schule im zarten Alter von 15 Jahren ab und schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Sie hatte bereits begonnen, zuhause auf dem iPad selbst Musik zu machen. Doch für die Initialzündung war eine Legende verantwortlich: Patti Smith, ebenfalls Rimbaud-Liebhaberin, spielte im «chez Rimbaud». Es war dieser Auftritt, welche die junge Flora Fischbach auf ihren Weg brachte.

«Ich mag es, die Grenzen meiner Stimme zu sprengen.»

Also setzte sich die angehende Musikerin an ihr erstes Album, in dem die surrealistischen Verse Rimbauds und Patti Smith nachhallen sollten. A Ta Merci – zu Deutsch «Auf deine Gnade» – bettelt nicht um Aufmerksamkeit, das Album verlangt sie ohne Umschweife. Zwölf Songs warten auf diesem Erstling, auf der nun erscheinenden Deluxe-Version finden sich zwei neue Stücke sowie fünf Live-Aufnahmen ihrer ausverkauften Show im Pariser Etablissement «Le Bataclan».

Soweit die nackten Zahlen. Das Album beginnt erstaunlicherweise nicht überwältigend. Ma voie lactée, getrieben durch einen Synth-Hook, erscheint wie eine Blaupause. Der Sound hält sich zurück, während die Fishbachs Stimme das gesamte Rampenlicht in Anspruch nimmt. Ein Stück, das die Mystik ihrer Kontra-Alt-Stimme und ihren geheimnisvollen Pop bis zu Essenz herunterbricht. «Ich mag es, die Grenzen meiner Stimme zu sprengen, den Lärm der Synths und die Geräusche der Texte», sagte Fishbach kürzlich.

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Dann vollzieht Fishbach eine Kehrtwende: Y crois-tu ist das, was man erwartet hat. Das Arrangement überquillt im Refrain mit einer epischen Fatalität, bildet den Kontrapunkt zu spartanischen Strophen. Ein wahnsinniger Track voller Pathos. Man kommt nicht umhin: Y crois-tu hat etwas Sakrales an sich, etwas Göttliches.

Fishbach wirkt tatsächlich stets wie eine Gottheit – androgyn und ewig. Vor wenigen Wochen veröffentlichte sie ein Video zum Song Mortel mit Aufnahmen von Konzerten und ihrer Tour. Wenn sie auf der Bühne steht, scheint sie zwischen den Welten gefangen, physisch präsent und doch nicht am gleichen Ort wie wir Sterblichen. Mortel ist ebenso gewaltig wie Y crois-tu – und klingt doch ganz anders: rockiger, poppiger und brachialer.

 

«Jedes Lied ist eine Frau, die ich hätte sein können, die ich sein könnte oder die ich sein werde.» Bild: Yann Morrison

Gefährliche Stücke

Hört man sich A Ta Merci einfach an, fällt es nicht auf. Doch das Album ist alles andere als einheitlich. Pop mischt sich mit Chanson – Hymnen mit Balladen. Eternité treibt unaufhaltsam voran. Un beau langage hingegen schaukelt langsam in schöner Traurigkeit. Die beiden Stücke, die auf dem Album aufeinanderfolgen, passen nicht zueinander.

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Bild: Yann Morrison

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Trotz dieser ständigen Kontraste würde man À Ta Merci niemals als Flickenteppich bezeichnen. Es ist exzentrische Musik – geschaffen von und für Exzentriker. «Jedes Lied ist eine Frau, die ich hätte sein können, die ich sein könnte oder die ich sein werde», sagt Fishbach. «Es gibt nichts Schöneres als die Universalität der variété

Fishbachs Klänge bannen. Die Bandbreite ihrer Klangwelt lässt für jeden Geschmack Raum. Und die Zeitlosigkeit ihrer Stücke faszinieren. Stundenlang könnte man diskutieren, welche Lieder die stärksten des Albums sind. Unbestritten ist jedoch, dass Fishbach ein Paradox ist: Je mehr Pop sie in den Songs beimischt, desto besser werden sie. Un autre que moi ist eines dieser Beispiele. Simpel aufgebaut, auf seltsame Weise vertraut. Oder Le châteu und On me dit tu, das die glitzernde Disco-Ära und den geheimnisvollen Synth-Pop à la New Order vermengt.

Dann sind da noch die richtig gefährlichen Stücke. Etwa Feu, das klingt wie der Soundtrack zu einem Revolverduell. Die Kirchenglocken schlagen bedrohlich – ein tiefschwarzer Western. Wenn dann der Ritt im Sound richtig losgeht, hat einen Feu längst in den Schlund mitgerissen.

Zeitlose Manifeste

À Ta Merci ist ein Album voller Widersprüche. Ein Album mit zwölf Stücken, die alle klingen, als kämen sie aus einer anderen Dimension. Fishbach hat in ihrem Debüt keine Kompromisse gemacht. Sie lässt sich nicht auf ein kleines Stück reduzieren, die will und braucht das volle Spektrum.

Wenn man À Ta Merci hört, muss man sich immer wieder bewusst werden: Das hier ist das erste Album einer Künstlerin – so unfassbar stark ist dieses Werk. Jeder einzelne Song ein zeitloses Manifest. Die Referenzen an die 80er-Jahre sind zwar allgegenwärtig, doch lässt sich der Sound nicht als «retro» abstempeln. Es gibt keine Gebrauchsanleitung um das Geheimnis von Fishbach zu entschlüsseln. Alle Versuche scheitern am Facettenreichtum ihres Sounds. Viel zu schnell verliert man sich in ihrem Labyrinth.

Dann wiederum muss man sich ernsthaft fragen: Will man diesen mysteriösen Nebel, der diese Dame umspielt, überhaupt vertreiben?

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