Hollow Hearts – Annabelle

«Annabelle» ist der Erstling des norwegischen Indie-Folk-Quartetts Hollow Hearts. Ein Spiel mit Details, ein Konzeptalbum, ein Wunderwerk der Melancholie.

Wer zum Henker nennt sein Album Annabelle? In diesem Namen schwingen so Unworte wie Rosamunde Pilcher oder Shabby Chic mit. Ein Faux-Pas des folk-affinen norwegischen Indie-Quartett Hollow Hearts. Aber so ziemlich der einzige.

Denn bereits das nach dieser Annabelle benannte Intro, gezupft auf der Halbakustischen, wohlig warm melodramatisiert mit Xylophon und fast unhörbarem Summen, dazu die furchtbar schwülstige Country-Pop-Slidegitarre, fühlt sich einfach richtig an. So ein bisschen kontemplativ traurig, aber nicht depressiv. Etwa wie französisches Kino.

Und dann kommt der erste echte Track. Parade. Der macht genau das, was sein Name ihm gebietet. Er donnert mit einem zumindest für Indie-Folk-Verhältnisse arg verzerrtem Gitarenriff in die aufgeräumte Melancholie wie eine Dampfwalze im Temporausch. Aber nur kurz. Denn Sängerin Ida Løvheims Stimme und arg verzerrte Gitarrenriffs, das ist keine Liebesgeschichte. Ganz die Finger lassen ihre Bandmitglieder vom Distort-Knöpfchen nicht. Vor allem als der Song urplötzlich zum Walzer wird, nimmt er nochmals kratzig Fahrt auf, aber ohne dabei die Sängerin zu sehr zu attackieren.

Jetzt denkt man vermutlich so als Leser: Mein Gott, wenn der über jeden Song so schwülstige Dinge schreibt, dann wird das verdammt anstrengend. Raus hier, aber schnell.

Wie die Fundgrube eines Dachbodens

Keine Sorge. Machen wer nicht. Auch wenn wer könnten – vor lauter Prächtigkeit dieser Platte. Trotzdem: Ein paar Informationen braucht man schon noch, um vom Album ein bisschen angefixt zu werden. Da ist etwa diese mit süss-verzweifelter Linda-Ronstadt-Stimme gesungene Zeile «For each and every Mile left behind we’re drifting further apart» im Song When we get there. Ach, sie gäbe so viel zu erzählen. Oder die chorale Kraft im Refrain von Down to the Wire.

Aber Worte machen keine Musik. Die muss man selber entdecken. «Annabelle», so simpel und überkitscht der Titel auch klingen mag, ist voller Überraschungen, als wäre die Platte die Fundgrube des Dachbodens eines alten Pärchens, den man nach dessen Ableben durchforsten darf. Da taucht Romantik auf, dort Blues. Da Harmonie, dort Dissonanz.

Wer zu Musik weinen kann …

Und dann ist da der Song Keep moving on. Er beginnt nur mit Idas Stimme, brüchig, aber gefasst, ist er doch der Versuch, sich selber Mut zuzusprechen – mittig im Elend der eigenen kleinen Welt.  Später kommen eine schwelgerische Buddy-Holly-Gitarre und ein gestreicheltes Schlagzeug dazu. Mehr brauchts nicht. Wer zu Musik weinen kann, wird es hier tun.

«Annabelle» ist das Lebensportrait einer womöglich imaginären Person, ein Konzeptalbum nach Mass. Und es endet mit zwei Namen. «Peter» und «Annabelle». «Peter, I’m leaving today», singt Ida Løvheim im letzten Song mit Lyrics, bevor das Outro instrumental mit der Namensgeberin des Albums endet. Darin steckt das Wesen der Melancholie. Ein Leben, das mit der gescheiterten Beziehung endet. Oder beginnt.

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