«Als Musiker bist du dafür verantwortlich, was du den Menschen mitgibst.»

Zürich liegt im Dunkeln, doch die Stadt lebt weiter. Draussen ist es kalt, drinnen geht es heiss zu und her. Beinahe 2’000 vorwiegend junge Menschen warten sehnsüchtig auf Irie Révoltés. Backstage im Komplex 457. Wir lassen uns mit Mal Élevé und Carlito – zwei Brüder und Sänger der Band – auf den dunkeln Sofas nieder.

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Interview und Fotos von Janosch Tröhler

Ist Musik nicht nur lockere Unterhaltung, völlig inhaltslos?

Carlito: «Das kann Musik auch sein. Sie berührt uns vor allem auf emotionaler Ebene. Egal, ob es ein Liebeslied ist oder etwas Aggressives oder halt etwas mit Inhalt, wo das Hirn noch gefordert wird.»

Mal Élevé: «Es kommt letzten Endes auf die Musiker und deren Konsumenten an. Für Irie Révoltés hat Musik natürlich automatisch etwas mit Inhalt zu tun.»

Irie Révoltés wurde vor 13 Jahren gegründet. Der Vater von Carlito und Mal Élevé stammt aus Frankreich, deshalb die Zweisprachigkeit in der Musik. Es Songs von und für die Freiheit, die Gerechtigkeit und soziales Engagement. Ihre Musik ist ein explosiver, mitreissender Mix aus Hip-Hop, Ska, Punk und Reggae. «Irie» – ein Wort aus der Kreolsprache Patois aus Jamaika – lässt sich mit positiv, glücklich und frei übersetzen. Die «Révoltés» sind die Aufständischen.

Haben Musiker eine gesellschaftliche Verantwort?

Carlito: «Auf eine gewisse Art sicher. Zumindest wenn sich immer mehr Menschen mit deiner Musik beschäftigen, hast du als Künstler die Verantwortung darüber, was du diesen Menschen mitgibst.»

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Auf die 1:12-Initiative angesprochen, über die das Schweizer Stimmvolk am 24. November 2013 abstimmen wird, meinen die Brüder, dass es ein richtiger Ansatz sein könnte. Es sei die Frage, ob 1 zu 12 das richtige Verhältnis ist. Viel wichtiger sollte das Umdenken der Menschen sein. Und Anarchist Mal Élevé findet Gesetze zweitrangig. Doch er bleibt realistisch und konstatiert, dass die Gesellschaft nun mal in erster Linie auf Gesetze höre, so dumm wie dies nun mal sei. Das Umdenken müsse schon im Kindergarten und in der Schule stattfinden.

Gerechtigkeit spielt eine wichtige Rolle in eurer Musik. Was denkt ihr über das Flüchtlingsdrama in Lampedusa?

Mal Élevé: «Das sind Dinge, die viel zu oft passieren. Momentan ist das Thema in den Medien hochgekocht, doch die Grundproblematik wird nirgends besprochen. Warum setzen diese Menschen ihr Leben aufs Spiel? Warum verlassen sie ihr Land, ihre Familien? Unser wirtschaftliches System ist daran Schuld. Hier ist eine riesige Aufklärung nötig.»

Sollte man eher in Afrika etwas bewirken? Oder sollten wir mehr Flüchtlinge aufnehmen? Oder gar beides?

Mal Élevé: «Beides auf jeden Fall! Wenn, dann soll jeder Mensch hingehen können, wo er will. Und nicht nur wir Privilegierten. Das ja das Paradoxe an der Sache: Europa macht sich zur Festung und verursacht gleichzeitig die Flüchtlingsproblematik. Da können wir unmittelbar etwas ändern, indem wir nicht mit Dikatoren kooperieren. Indem wir nicht mit Waffen Bürgerkriege befeuern.»

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Musik ist für Irie Révoltés eine von vielen Aktionsformen, Forderungen durchzusetzen. Ab einer gewissen Bekanntheit hat man nicht nur die Verantwortung, sondern vermag seinen Namen auch als Druckmittel in die Waagschale zu legen. Mal Élevé beantwortet mit aufmerksam blitzenden Augen die Fragen, Carlito bedient sich bei den Früchten auf dem Tisch. Ihre Überzeugung ist deutlich zu spüren.

Es gibt Gruppierungen, die überzeugt sind, einen Gesellschaftswandel nur mit Gewalt erreichen zu können. Wie steht ihr dazu?

Mal Élevé: «Das ist eine schwierige Frage. Wir haben den Weg der Aufklärung gewählt. Es gibt aber Momente und Situationen, zum Beispiel bei Demonstationen, wo Gewalt ein Mittel ist. Gewalt gegen Sachen ist für mich auf jeden Fall nicht gleichzusetzen mit Gewalt gegen Menschen. Das passiert leider zu oft.»

Wie engagiert ihr euch sonst noch?

Carlito: «Wir haben verschiedenste Projekte. Es sind zu viele, um sie alle zu nennen. Heute Abend ist die Schweizer Zelle von Viva Con Agua mit dabei, die sich für sauberes Trinkwasser einsetzen. Dann gibt’s die Aktion Rollis für Afrika, die mein Bruder und ich mitgegründet haben. Da werden Rollstühle und Gehhilfen für Senegal gesammelt. Wir setzen uns gegen Homophobie und Sexismus in der Musik ein. Grundlegend ist für uns, nicht nur drüber zu reden, sondern auch in die Tat überzugehen.»

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