Interview mit Lea Lu – Ein Déjà-vu

Bild: Francesco Tancredi

In einem gemütlichen Beisammensein verrät uns Lea Lu, was die aktuellen Highlights in ihrem musikalischen und nicht-musikalischen Alltag sind.

Ist es nicht erstaunlich, dass wir unsere Kindergartenkameraden auch nach zwanzig Jahren wiedererkennen, Bekanntschaften aus der späteren Jugend- oder Arbeitszeit hingegen nicht unbedingt? So erging es mir auch mit Lea Lu – und ihr mit mir.

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Ganz von vorn

Ja, die Zürcher Singer-Songwriterin Lea Lu und ich gingen zusammen in die Krippe, den Kindergarten und die Primarschule. Damals hiess sie zwar noch nicht Lea Lu, aber die Musik war schon in unseren Kindertagen ihr grosses Thema – und ihr Zufluchtsort, wie sie mir im Interview erzählt. «Bei drei Geschwistern und vielen Haustieren war es bei uns immer laut. Durch die Musik konnte ich mir einen Raum schaffen um mich darin zurückzuziehen.»

Gespannt wie eine Gitarrenseite erwarte ich Lea in der heimeligen Sofaecke in einem ihrer Liebingscafés. Und da kommt sich auch schon: Direkt von der anderen Strassenseite aus dem Gitarrenladen ihres Vertrauens – selbstverständlich mit Gitarre im Gepäck. Lea hat nämlich eine innige Beziehung zu ihrer Gitarre, die sie überall hin begleiten darf. So auch dann am späteren Abend noch nach Nizza.

Ein ganz normaler Tag

«Du erwischst mich an einem exemplarischen Musik-Tag», begrüsst mich Lea mit einem strahlenden Lächeln, für das sie schon während unserer Kindheit bekannt war. «Heute Morgen gab ich Gesangsunterricht, musste anschliessend meine Gitarre reparieren lassen, sitze nun mit dir an einem Interview und später habe ich noch ein Meeting und Probe. Und fliege danach noch nach Nizza für einen Auftritt am nächsten Tag.»

[su_pullquote left_or_right=“left“]«In Nizza sind alle Alleskönner. Deshalb helfen sich da alle gegenseitig aus. Es ist ein grosses Miteinander.»[/su_pullquote]

Im Moment spielt sich beim Lea Lu einiges im Hintergrund ab – und vieles davon in Frankreich. «Ich bin seit einem Jahr Teil eines Labels in Nizza. Dabei handelt es sich um eine Art MusikerInnenkollektiv, so wie es in der Schweiz das Kollektiv Red Brick Chapel gibt. Die Vision unseres Labels DIME ON, das vom Musiker und Produzenten Medi gegründet wurde, ist die gegenseitige Unterstützung und Vernetzung auf der Ebene der Künstler selber. Nach vier Zufallsbegegnungen mit Medi, dem ehemaligen Drummer von Charlie Winston, konnten wir das Schicksal nicht mehr ignorieren und haben uns für eine musikalische Zusammenarbeit entschieden. Aus den vielen gemeinsamen Zusammenarbeiten mit weiteren Künstlern in Nizza ist mit der Zeit das Label DIME ON ganz natürlich herangewachsen. Deshalb verbringe ich nun viel Zeit in Nice – oder Nissalabella, wie die Leute ihre schöne Stadt gerne nennen.»

Lea fährt weiter: «Es ist gut und wichtig, sich ein Netz zu schaffen. So kommt es, dass ich mal an einem Konzert eines anderen Dime On-Künstlers mitwirke und auch umgekehrt. Dieser Austausch ist enorm spannennd und lebendig. In meiner Band singen bei grösseren Konzerten Yana, eine grossartige Sängerin aus Nizza, und Medi mit. Von der Schweizer Musikseite her sind Daniela Sarda von TRUE und der Jazzschlagzeuger Claudio Strüby mit dabei; zwei meiner Lieblingsmusiker.»

Tell me more about «Rabbit»

«Bei Rabbit handelt es sich um eine sehr persönliche Geschichte. Deshalb wollte ich diese Musik erst auch gar nicht veröffentlichen. Die Songs sind im Rückzug wie von alleine gekommen, in einem schon fast fertigen Zustand, auf den ich selber keinen Einfluss hatte. Und trotzdem waren sie improvisiert und frei.

Um die auf die Essenz reduzierten Songs richtig zu erfassen, muss man eine persönliche Beziehung dazu aufbauen. Das Spannende ist, dass dies sowohl bei den MusikerInnen, als auch beim Publikum geschehen kann – wenn man sich darauf einlässt. Ich bin immer sehr gespannt auf die Live-Auftritte! Jeder ist anders. »

Lea Lu ist gespannt auf den nächsten Züricher Auftritt mit «Rabbit». Bild: Francesco Tancredi

Lea Lu und die anderen

«Lea, du schätzt die Arbeit deiner MitmusikerInnen ja offensichtlich sehr. Wen würdest du gerne mal treffen?» – «Camille», antwortet Lea wie aus der Pistole geschossen. «Sie ist für mich eine meiner Musikhelden. Sie ist immer ihrer Zeit voraus und ich würde sie zu gern fragen, woher die Songs bei ihr kommen.»

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«Woher kommt denn bei dir die Musik?» – «Von innen. Meine Kompositionen kommen wie Impulse aus mir heraus. Manchmal fühlt es sich an wie «Oh, oh, jetzt kommt ein Song!» und dann muss ich bereit sein, dieses Gefühl für die neuen Klänge aufzunehmen und irgendwie festzuhalten. Deshalb habe ich auch immer eine Gitarre dabei, selbst auf Reisen an die abgelegensten Orte. Diesen Sommer habe ich in einer Hütte im Dschungel Kambodschas acht solche Songs geschrieben.

Das Schwierigste ist immer, den Zugang zu sich zu finden, zu halten und dann der Spur zu folgen. Deshalb heisst meine aktuelle EP Rabbit. Der Song Rabbit  ist aufgetaucht und ich bin ihm gefolgt; down the rabbit hole. Die Songs habe ich dann gewissermassen in mir entdeckt. Die Analogie zu Alice im Wunderland war nicht beabsichtigt, aber passt ganz gut, finde ich.»

Synä-was?

«Liebe Lea, du wirst ja wahrscheinlich in jedem Interview mal auf deine Fähigkeit, Musik in Form von Farben wahrzunehmen, angesprochen. Das interessiert die Leute eben und das scheint dich ja in einer gewissen Form auch von anderen Musikern zu unterscheiden. Also?»

«Ja, die Frage nach meiner Synästhesie begegnet mir nahezu in jedem Interview. Solange das Thema nicht das gesamte Interview dominiert, ist das in Ordnung für mich. Mir ist aber wichtig, dass die Leute wissen, dass diese Eigenschaft für mich so normal ist, wie für andere sehen oder atmen. Es hat keine weitere Bedeutung für mich als für dich hören oder lesen.»

Back to the future

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Trainieren der tonalen Vorstellung. Bild: Francesco Tancredi

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«Was hat du denn sonst noch so aus deiner Vergangenheit mitgenommen?» – «Stimme als Ausdruck.» – «Ja, für die, die singen können!» Ich lache. Lea lächelt nur vielsagend und meint: «Ich denke, dass jeder Singen kann. Unser Körper ist ja im Prinzip ein uns zur Verfügung stehendes Instrument. Jede Stimme ist eigentlich in sich perfekt. Es ist nur so, dass man sie oft nicht in ihrem vollen Potenzial braucht, den Zugang dazu nicht hat. Deshalb denken viele, dass sie nicht Singen können.»

Lea gab mir eine Kostprobe ihres Musikunterrichts und hat mit mir etwas aus der Lichtberger-Technik ausprobiert. Dabei wird über die Wahrnehmung am Ton gearbeitet und so gelangt man – in diesem Falle erstaunlicherweise sogar ich – zu seinem eigenen «reinen» Ur-Ton. So nahe war ich am Singen schon seit Jahren nicht mehr. Danke Lea!

«Was ist denn deine grösste persönliche Veränderung seit dem wir uns das letzte Mal (als zwölfjährige Mädchen) gesehen haben?» – «Ich kann jetzt Auto fahren! Und das geniesse ich sehr. So kann auch ich endlich von einem Gig nach Hause fahren und die Band darf mal dösen.»

Leilensteine

Und deine musikalischen Erfolge seither?

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LEA LU
Lea Lus Blick in sich selbst. Bild: Franco P. Tettamanti

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«Von aussen gesehen ist es wahrscheinlich, dass ich den Support für Coldplay machen und vor 48’000 Personen spielen konnte. Das Konzert war auch echt gigantisch. Nicht nur auf der Bühne, sondern vor allem auch hinter den Kulissen. Erstaunlicherweise war es einer unserer ruhigsten Gigs, den wir je gespielt haben. Wir waren so im Fokus, dass Nervosität gar nicht erst aufkam, total im Flow. Es half sicher auch, dass Backstage die Atmosphäre unter dem gesamten Coldplay-Team sehr entspannt war. Alle hatten einen respektvollen Umgang miteinander. So etwas sieht man am deutlichsten beim Catering. Entweder herrscht klare Hierarchie, indem die Essräume getrennt sind und die Qualität des Essens variiert, je nach dem ob man Star oder Kabelträger ist. Bei Coldplay essen alle im gleichen Raum und vom selben Buffet. Das sorgt direkt für ein angenehmeres und ausgeglichenes Arbeitsklima. »

Und von innen?

Lea bleibt zunächst ruhig und denkt sorgfältig nach. «Ich habe mich schon oft gefragt, was Erfolg eigentlich heisst. Erfolg kommt eigentlich von den eigenen Messlatten, die man setzt, manchmal ganz unbewusst. Dabei gibt es einfach verschiedene Ebenen von Erfolg. Für mich ist die Veröffentlichung meiner neusten EP Rabbit ein kleiner, ganz persönlicher Erfolg, weil ich mich damit auf etwas Musikalisches rückbesinnen konnte und es sich einfach richtig angefühlt hat, diese EP zu dem Zeitpunkt zu machen. Die Messlatte hier wurde plötzlich eine andere. Es ging nicht mehr um Verkaufszahlen, sondern darum, ob man bei der Essenz der Sache bleiben kann. Jedes Konzert ist somit erfolgreich, wenn wir bei uns bleiben und die Leute so mitnehmen können auf die musikalische Reise. Und nicht, wenn es ausverkauft ist.»

Erlebnismusik

[su_pullquote left_or_right=“right“]«Musik machen ist wie Kochen. Erst, wenn jemand das liebevoll Zubereitete isst, bekommt es einen Sinn.»[/su_pullquote]

«Die Musik ist im ersten Moment der Komposition für mich. Jeder hört (oder in meinem Falle eben sieht) ein Lied auf eine andere Weise. Ein Song ist meiner Ansicht nach also erst mit den Mit-Musikern und vor allem auch mit den ZuhörerInnen komplett. Erst dann lebt der Song. Deshalb liebe ich es, Konzerte zu geben. Ich möchte in meiner Musik Platz lassen, damit mein Publikum sich damit verbinden kann. Meine Lieder sollen ein Angebot sein, um sein Eigenes dazuzugeben und sich somit selbst neu begegnen zu können. Und das ist es, was ich auch in Zukunft anstrebe: Meine Songs gemeinsam mit meinen ZuhörerInnen und MusikerInnen zum Klingen zu bringen.»

We Follow Lea’s Rabbit

Lea überreicht mir eine handsignierte EP ihres neusten Werkes. Dass die meisten Leute heute keinen Plattenspieler mehr haben, hinderte Lea Lu nicht daran, dieses klassische Trägermedium zum Vertrieb ihres neusten Werks Rabbit zu wählen. Sie ist hat sich intensiv mit dem Weg der Musik bis zum Kunden auseinandergesetzt und ist sich durchaus bewusst, dass vieles übers weite Netz läuft. Deshalb hat sie sich für das Sammlermedium EP entschieden, auf der ein direkter Download-Link befindet.

Handgeschriebene Widmung. Bild: Francesco Tancredi

Nein, Lea Lu lebt keineswegs mehr in der Vergangenheit, sondern läuft mutigen Schrittes und freudigen Blickes ihrer musikalischen Zukunft entgegen.

Ich meinerseits fand die Exkursion in meine und ihre Vergangenheit durchaus inspirierend und fiebere nun Lea Lus Konzert vom 15. Dezember im Moods entgegen. Ich bin gespannt, was wir gemeinsam aus der Musik machen werden! Tickets findet ihr hier.

Einen Negative White-Einblick ins Album findet ihr hier.