«Das ist an Tragik nicht zu überbieten»

Seit Jahren gehört der Psychobilly/Horrorpunk-Tag am WGT in mein festes Pfingstprogramm. Als ich dann das neue Album für eine Rezension bekam und sah, dass die Jungs wieder Leipzig unsicher machen, habe ich kurzfristig nach einem Interviewtermin gefragt. Am Samstag traf ich den Sänger.

Immer mit Enthusiasmus dabei: Rod Usher von The Other (Foto: Sacha Saxer)
Immer mit Enthusiasmus dabei: Rod Usher von The Other (Foto: Sacha Saxer)

Ich war schon beinahe auf dem Weg nach Leipzig, als ich endlich eine Terminbestätigung in den Händen hatte. Am Samstag zwischen den Konzerten von Moonspell und Fields of the Nephilim. Also hörte ich mir das neue Album an und las mich durch die Pressemitteilungen dazu – ich musste mir ja in der kurzen Zeit bis zum Interview noch ein paar Infos aneignen. Das sollte sich später noch rächen.

Samstagabend, schon einige Kilometer unter den Füssen, traf ich mich beim Leipzig-Doppel-D, wie der Kohlrabizirkus wegen seiner Architektur auch genannt wird, mit Rod Usher. Wir setzten uns unkompliziert in einer Ecke des Geländes auf den Boden, und bevor ich loslegen konnte, startete Rod mit einer Frage ins Interview.

Rod Usher: Hast du denn unsere Platte schon bekommen?

Negativewhite: Natürlich, hab sie mir auch schon ein paar Mal durchgehört.

Darf ich denn fragen, wie du sie findest?

Das kannst du dann im Review nachlesen. (Rod grinst) Das ist jetzt eurer sechstes Album.

Richtig.

Und das erste mit einem deutschen Song…

Nein, das stimmt so nicht ganz, aber witzigerweise bist du schon der Zweite, der das sagt. Es ist sogar unser fünfter deutscher Song. Seit dem zweiten Album haben wir auf jedem Album einen deutschen Song. Dieses Mal ist es allerdings wirklich… – und deswegen versteh ich die Frage – ist es der Opener. Normalerweise ist es immer mittendrin oder sogar der letzte Song, weil’s natürlich ungewöhnlich ist.

In letzter Zeit haben ja viele Bands mit deutschen Songs angefangen. Mono Inc. hat jetzt ihre zweite Scheibe mit deutschen Songs draussen, die Donots haben gar ein komplettes Album auf Deutsch veröffentlicht.

Ich weiss, ja.

Da ihr das ja schon praktisch seit ewig macht, ist’s hinfällig zu fragen, ob da ein kommerzieller Hintergedanke den Ausschlag gab.

2006 kam das Album We Are Who We Eat, bei dem ich im Proberaum zum ersten Mal spontan deutsch gesungen habe, und das kam halt super an. Seitdem werden wir immer gefragt, ob wir mal ein Album komplett auf Deutsch machen. Aber das werden wir nicht tun. Weil Horrorthemen klingen oft ganz schön doof auf Deutsch. Das muss man einfach mal sagen.

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Deutsch ist einfach eine sehr schwierige Sprache zum Singen.

Ja, das ist so. Der deutsche Song ist jeweils der, bei dem ich mir am meisten Gedanken über den Text mache. Das ist ganz klar.

Sonst klingt es schnell nach Schlager.

Genau. Nach Unheilig zum Beispiel. Genau.

Das hast du jetzt gesagt.

Obwohl, wir haben auf dem letzten Album einen Song, Ewigkeit heisst der, bei dem uns gesagt wurde, der klinge sehr nach Unheilig. War nicht so gedacht. Da ich ein ganz grosser 80er-Jahre-Metal Fan bin, wollte ich einfach so eine richtige Powerballade schreiben, so im Stil von Here I Go Again von Whitesnake. So, und jetzt mit deutschen Texten sagen alle, es klingt nach Unheilig. Mit englischen Texten hätten alle gesagt: «Oh geil, klingt nach Bon Jovi oder Whitesnake!» Aber nein, auf Deutsch klingt’s nach Unheilig.

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Aber nichtsdestotrotz, unsere Themen klingen auf Englisch einfach cooler. Wenn du «Cemetery» singst, klingt das cool. Wenn du «Friedhof» singst, irgendwie nicht so sehr. Wir haben uns auf alte Horrorthemen eingeschossen, und die kommen halt vielfach aus Amerika.

Die meiste Inspiration kommt also also aus Filmen und Büchern?

Ja, früher mehr aus Filmen, mittlerweile mehr aus Büchern. Irgendwann war halt dieses Thema, dass man über Horrorfilme singt, irgendwie durch. Mittlerweile geht’s mehr in Richtung – aber das klingt total klischeehaft – jetzt ist es mehr etwas persönlicher, es geht um Ängste, jetzt speziell um Ängste vor dem, was einem bevorsteht, Ängste vor dem, was man hätte machen können, Ängste vor dem, was man tut, wenn man sich mit Leuten einlässt, die einem nichts gutes wollen. Sowas in der Richtung. Aber in der Tat sind natürlich Songs drauf, die einen Horrorfilmeinfluss haben. Bloodsuckers zum Beispiel ist von Interview mit einem Vampir beeinflusst. Da gab’s die kleine Kirsten Dunst, die spielte einen 12 Jahre alten Vampir, Claudia hiess sie, die hat gesagt: «Verdammt nochmal, ich bin jetzt ein Vampir mit 12 Jahren. Ich wär lieber ein Vampir mit 18 Jahren, dann könnt ich saufen und bumsen.» Das ist an Tragik nicht zu überbieten. Alle sagen «Boah, endlos leben» aber stell dir mal vor, du bist 12 Jahre alt. Was ist denn das für’n Scheiss? Und darüber haben wir einen Song gemacht. «She’s too young to be a bloodsucker».

Als ich den Song das erste Mal gehört hab, musste ich automatisch an meine ältere Tochter denken, die ist 13.

Lustig, weil unser Drummer sagt immer: «Der Song kling total pervers, der klingt total pädophil.» Alter, darum geht’s gar nicht. Es geht darum, dass du das eben nicht machen darfst, das ist der Sinn des Songs.
Und Dreaming Of The Devil, unserer Single in Anführungs- und Schlussstrichen, ist ein bisschen von Rosemary’s Baby beeinflusst. Mephisto ist natürlich von Faust beeinflusst, ganz klar. Wobei wir das natürlich nicht nacherzählt haben, sondern, das war der Song, bei dem ich sagte: «Pass auf, mit wem du dich einlässt.» Man muss das ja auch immer ein wenig auf sich selber beziehen. Aber ich liebe es wirklich, Songs zu schreiben. Das geht mir sehr gut von der Hand und ich hab da Spass dran.

Das hört man.

Dankeschön.

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Was macht für euch die Faszination von Horrorpunk aus? Seid ihr alle von Haus aus schon Gruselfreaks?

In der Tat. Die Faszination an sich kam natürlich weil ich, seit ich ein Teenager bin, KISS-Fan bin. Dann kamen plötzlich die Misfits ins Boot, und als ich neun Jahre alt war hab ich zum ersten Mal Tarantula gesehen und die ganzen Jack Arnold Filme, Creature of the Black Lagoon und so weiter. Da hab ich plötzlich gemerkt, dass Horrorfilme nicht nur Gruselfilme sind, sondern dass sie eine Message haben, dass man da viel transportieren kann, ohne zu sagen: «Ey, du musst das und das machen», sondern du erzählst eine Geschichte und es gibt einen Subtext. Und Horror ist sehr gut im Transportieren von unterschwelligen Botschaften. Das hat uns sehr fasziniert, und wenn du KISS nimmst, und Alice Cooper und Misfits und Horrorfilme, dann bist du irgendwo, wo du sagst: «Horror hat musikalische und lyrische Relevanz.» Und das finde ich sehr faszinierend. Obwohl ich, was Horrorfilme anbelangt, mittlerweile ein totales Weichei geworden bin.

(An dieser Stelle schweifen wir kurz ab in eine Diskussion über Horrorfilme im Allgemeinen, in die sich spontan ein weiterer Festivalbesucher einklinkt. Aber über dieses Thema gibt’s beim nächsten Interview mehr.)

Wie hat sich die Horrorpunkszene eigentlich verändert in den letzten Jahren?

Ja, die hat sich schon sehr verändert. Fakt ist, als wir angefangen haben, so 2002, 2003, war das natürlich ein Riesenhype. Jeder hat gedacht, das wird jetzt die neue Gothic-Richtung, so ungefähr. Und so bis 2010 hat sich das erübrigt, aber ich bin ja ganz froh, dass wird dann irgendwas am Wacken, M’Era Luna und WGT gespielt haben und nicht mehr nur in dem Genre unterwegs waren. Trotzdem, wir sagen immer noch: «Wir sind ’ne Horrorpunkband.»
Gerade in Amerika wird momentan plötzlich wieder was losgetreten, da kommen überall wieder Bands her. Das ist der absolute Wahnsinn. Wir gehen im März nächstes Jahr in Amerika auf Tour – unsere zweite Amerika-Tour – und ich bin mir sicher, das wird richtig gut laufen. Früher war die Szene in Amerika und in Deutschland waren die Bands und die Fans. Jetzt ist es genau umgekehrt. Jetzt ist Horrorpunk in Amerika wieder ein Riesenhype. Aber wir haben’s irgendwie überdauert. Dadurch wohl, dass wir halt auch viel auf Gothic-, Metal- und Punkfestivals spielen…

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Ihr spielt ja auch nicht nur reinen Punk. Ihr habt eine ziemliche Bandbreite entwickelt, was Musik anbelangt.

Danke, dass du das sagst, das ist schön zu hören. Würd‘ ich so unterschreiben, ohne das arrogant zu meinen. Aber das liegt natürlich daran, dass wir nicht als Misfits-Fans aufgewachsen sind, sondern auch andere Musik gehört haben. Natürlich hat’s da mal ein Metal-Riff dabei, mal hast du Gothic-Atmosphäre. Du willst ja nicht ewig als die Band gelten, die als Misfits-Coverband angefangen hat und immer noch genau dasselbe macht.

Das waren damals The Ghouls.

Genau, richtig. Dankeschön. Nein, der künstlerische Anspruch ist natürlich, sich weiterzuentwickeln. Aber wir lieben immer noch die Musik, die wir früher gemacht haben, und die Weiterentwicklung soll in dem Rahmen stattfinden, den wir gut finden. Es soll nicht plötzlich ein HipHop-Album werden, sondern es soll eigentlich immer weiter gehen. Also wenn du die Platten von der ersten bis zur letzten durchhörst, dann siehst du die Steigerung. Wenn du die erste hörst und dann die sechste, dann denkst du: «Was ist denn das? Das ist nicht dieselbe Band.» Aber wenn du’s verfolgst, dann denke ich, siehst du die Entwicklung irgendwo, und ich glaube, dass jemand, der mit offenen Ohren rangeht, nicht sagt: «Was ist denn mit denen passiert?», sondern ich denke, der wird das honorieren. Das ist jedenfalls meine Hoffnung. (lacht)

Was für Horrorpunk/Psychobilly-Festivals würdet ihr den Fans empfehlen?

Ah, das ist ’ne schwere Frage, du. Junge, Junge. Da gibt’s dieses Psychobilly Meeting am Strand von Barcelona. Ich hatte ja damals ein Label gemacht, Fiend Force Records, auf dem wir den Sampler This is Horrorpunk herausgebracht haben, und da waren natürlich auch Nectromantix drauf, Rezurex, Mad Sin, all solcher Kram. Die Grenzen sind fliessend. Aber ich denke, wenn wir da als The Other spielen würden, wären wir etwas fehl am Platz.
Ich hab früher Festivals veranstaltet, hab alle Bands rübergeholt. Das funktioniert heute nicht mehr, weil jede Band überall spielt. Wenn wir am Montag da spielen, da spielen Rezurex mit, da spielen Koffin Kats mit, das wär früher nicht denkbar gewesen. Mittlerweile haben sich die Horrorpunkbands auch auf die Festivals verteilt. Es gibt kein reines Horrorpunkding mehr. Da kannst du ans Wacken gehen, ans M’Era Luna, ans WGT, da siehst du überall Horrorpunkbands.

Beim WGT ist der Montag bei mir seit meinem ersten WGT fix besetzt.

Dankeschön. Das ist super.

Das ganze Wochenende siehst du die Leute nur in Schwarz und am Montag kommt einer in bunten Bermudashorts und zupft an seinem Kontrabass rum.

(Lacht) Das stimmt. Das wundert mich auch total. Weisst du, Psychobilly war früher null Gothic-affin. Und ganz plötzlich kommt das WGT, holt die ganzen Psychobillybands her, und die Leute gehen total steil da drauf. Übrigens, der Daniel, der Sänger von Rezurex, hat ja früher bei The Deep End oder 45 Grave gespielt. Da schliesst sich dann auch wieder der Kreis.

Wenn du jetzt selber ein Festival veranstalten müsstest, welche Bands würdest du einladen?

Ah, wieder ’ne geile Frage. Also, meine Lieblingsband KISS wäre Headliner. Dann würde ich Misfits in Originalbesetzung, The Damned, T.S.O.L. (True Sounds of Liberty), The Cult, wahrscheinlich The 69 Eyes, weil ich die früher richtig geil fand und immer noch gut mit dem Jyrki befreundet bin. Wenn’s The Cramps noch geben würde, würde ich auch The Cramps noch mitnehmen. Also ich kenne viele Bands, die ich supergeil finde. Ich fand Moonspell supergeil, aber die würden natürlich nicht reinpassen, aber so, was ich genannt hab, so ungefähr würde das aussehen… und Alice Cooper wäre noch dabei.

Da Fields of the Nephilim mittlerweile schon am Spielen waren, hörten wir hier auf. Die Vorfreude auf den Montag war allerdings gleich nochmal ein wenig gestiegen.