Nilüfer Yanyas erstes volles Album «Miss Universe» ist ein atemloses Werk, das sich stilistisch zuweilen verliert, aber doch eine überraschende Logik behält.
Sie ist 23-jährig und produziert seit bald vier Jahren fast ununterbrochen Musik. Zunächst drei EPs, jetzt ein volles Album mit üppigen 17 Tracks. Wer die britische Sängerin, Songwriterin und Multiinstrumentalistin Nilüfer Yanya als Workaholic bezeichnet, kommt ihrem Wesen wohl relativ nahe. Doch ganz so einfach lässt sich das Schaffen der Musikerin nicht erklären. Ihr Album Miss Universe ist ein eindrückliches Beweisstück eines genialen Musikgeistes, der sich nicht normieren lässt. Dazu ein kleiner Diskurs.
Girlgroup: Niemals!
Louis Tomlinson, einer von dieser Boygroup One Direction, der die Haare und Stimme schön hat, durchforstete vor drei Jahren die gängigen Onlineplattformen nach hübschen jungen Frauen, die singen können. Sein Plan: Die nächste grosse Girlgroup Englands aus der Taufe zu heben.
Nilüfer Yanya war damals gerade mal 20 Jahre alt, hatte sich das mit der Musik längst fix in den Kopf gesetzt und Soundcloud zwei Jahre lang intensiv mit selbstgeschriebenen und -produzierten Songs gefüttert. Tomlinson war begeistert. Da war Musikverständnis, da war eine tolle Stimme und auch noch eine hübsche Frau. Yanya sollte das Aushängeschild seiner Girlgroup werden.
Doch die hatte keinen Bock auf Mainstream. Tomlinson und seine Gefolgschaft hätten sie zu blenden versucht. Zu manipulieren, berichtete sie kürzlich dem Independent. Sie hätten die Sache mit der Girlgroup als ach so tolle Möglichkeit angepriesen, die grosse Bühne zu betreten. Ein Sprungbrett. «Sie sagten mir, ich bekäme dadurch eine Plattform, um meine eigene Musik zu machen.» Nilüfer sagte lediglich: «Niemals!»
Erfolg ist sekundär
Die Episode zeigt zwei Dinge. Erstens will Nilüfer nicht primär erfolgreich sein, sondern ihre Musik machen. Zweitens hat sie einen eigenen Kopf. Beides schlägt sich in den Songs auf Miss Universe nieder.
Das mit dem eigenen Kopf hört man insbesondere an einer fehlenden stilistischen Klarheit. Melt etwa vermengt einen 80er-Jahr-Popballaden-Plastikbeat mit einem Jazz-Sax und Trip-Hop-Synth. Paralyzed hat dieses Kaiser-Chief-Gitarrenriff, In your Head geht mit einem Kravitz-Giti-Synth-Kratzer los, Baby Blu singt sie, als wäre sie Annie Lennox, die einen Morcheeba-Track interpretiert.
Dieses stilistische Allerlei schafft jedoch den Spagat, Vielfalt zu zelebrieren, ohne zum Stückwerk zu verkommen. Das hängt etwa damit zusammen, dass Nilüfer eine recht spezifische Art gefunden hat, die Gitarre unabhängig von ihrem Verzerrungsgrad in jeden Song einzubringen. Sie spielt sie rein rhythmisch, ihr Spielverständnis kommt klar aus dem Funk. Produziert ist sie mal etwas vordergründiger, mal etwas sekundärer – aber immer so, dass sie für den Song komplett unverzichtbar ist.
Diese Rastlosigkeit
Weiter hält ihr Songwriting die Songs zusammen, das durchaus einen roten Faden erkennbar macht. Ob Indie-Ballade oder rocklastige Trip-Hop-Nummer: Geschrieben sind die Songs stets in einer rastlosen, atemlosen Tonalität, die das Album vorantreibt und die tendenziell zu grosse Zahl von Kompositionen und Stilrichtungen elegant vergessen lässt. Nilüfers scheinbare Unfähigkeit, innezuhalten, schlägt sich direkt auf ihre Art des Schreibens nieder.
Doch schliesslich hält vor allem ihr tiefes Organ zwischen genannter Annie Lennox, Skye Edwards und Alison Moyet die Songs zusammen. Ihre unaufgeregte Interpretation zieht sich wie ein Kontrast durch ihr jüngstes Werk. Rastlos? Eindeutig. Gestresst? Niemals.