«Stranger Fruit» – Zeal & Ardor zelebrieren grandiose Experimentierlust

Manuel Gagneux, der Kopf hinter Zeal & Ardor. Bild: Matthias Willi

Zeal & Ardor legen ein gewaltiges Werk vor: «Stranger Fruit» ist die vorläufige Vollendung einer Idee. Das Album besticht durch eine immense Vielfalt, obwohl sich der Sound auf eine simple Formel reduzieren lässt.

Zeal & Ardor sind derzeit der erfolgreiche Musikexport der Schweiz. Die Geschichte des Projekts des schweizerisch-amerikanischen Doppelbürgers Manuel Gagneux liest sich heute bereits wie ein Mythos: Auf der Suche nach Inspiration verschlug es den Musiker in den Abgrund des Internets: Das Forum 4chan. Dort wurden unvereinbare Genres gesucht. Ein Vorschlag für eine Synthese: «Black Metal and nigger music.»

[su_pullquote left_or_right=“left“]

[/su_pullquote]

Gagneux, selber dunkelhäutig, war im ersten Moment pikiert, dann fasziniert. Was wäre, wenn die Sklaven im Süden der USA sich nicht Gott, sondern Satan hingegeben hätten? Die Idee liess ihn nicht mehr los. Er begann die Arbeit an Devil Is Fine, stellte die Demos ins Netz. Sie wurden von Kim Kelly entdeckt, einer Musikjournalistin in den USA. Der Hype nahm seinen Lauf.

Grenzen auspeitschen

Das liegt nun bereits zwei Jahre zurück. Gagneux nahm die Demos wieder aus dem Netz, feilte weiter am Sound und veröffentlichte dann letztes Jahr das erste Album Devil Is Fine. Eine Kompilation von neun Songs, bejubelt für die Kompromisslosigkeit und Kreativität. In der von Selbstreferentialität gepeinigten Metal-Szene peitschten Zeal & Ardor durch die Grenzen des bis dahin Möglichen.

Für das erste Konzert der Band in der Kaserne Basel flog die Musikpresse aus der ganzen Welt her. Schnell war klar: Zeal & Ardor sind nicht bloss ein mutiges Studioprojekt, sondern auch eine packende Liveband.

Manuel Gagneux mit Zeal & Ardor im Salzhaus Winterthur, 2017. Bild: Nicola Tröhler

Heute wirkt Devil Is Fine weniger wie ein Album, mehr wie eine Demo. Ein erster Schritt im Herantasten zu dem, was Zeal & Ardor alles zu sein vermag. Ein Flickenteppich mit Ideen, ein Skizzenbuch ist das Werk. Das erste richtige Album heisst Stranger Fruit und erscheint am 8. Juni 2018.

Soul trifft auf rohe Gewalt

Auf Devil Is Fine versuchten Songs wie Blood In The River oder Children’s Summon die Fusion von Sklaven-Spirituals und Black Metal. Meist blieb es aber beim Hin und Her zwischen den beiden Elementen.

Auf Stranger Fruit gelingt die Vermischung scheinbar mühelos. Das Konzept hat mehr Raum erhalten. Zeal & Ardor beschränken sich nicht nur auf Black Metal und Gospel. Im wilden Strudel mischen sich Metal, Core, Blues, Soul, R’n’B und Country Noir. Die Gefahr, dass sich die ursprüngliche Idee hinter dem Projekt schnell zu Tode laufen würde: Sie verblasst im Angesicht des 16 Stück starken Albums.

Bild: Nicola Tröhler

Wobei sich die Zahl 16 relativiert. Intro, The Hermit, The Solve und Coagula unterbrechen Stranger Fruit ähnlich wie Sacrilegium I-III es im ersten Album taten. Es sind kurze Verschaufpausen, die zugleich als Mörtel zwischen den Songs fungieren.

Erst mit Gravedigger’s Chant, der ersten Single, beginnt sich die faszinierende Welt von Zeal & Ardor zu entfalten. Ein schwerer Blues, unterfüttert mit krachenden Gitarren. Der Song ist ein erster Hinweis, dass hier kein monotones Metal-Album zu erwarten ist.

You Ain’t Coming Back ist mitunter eine der spannendsten Kompositionen. Purer R&B-Soul, der im Refrain in seiner Dramatik durch die rohe, instrumentale Gewalt unterstrichen wird. Es sind solche Gratwanderungen, die da sStranger Fruit zum aufregenden Abenteuer werden lassen. 

Tanzbarer Metal

[su_pullquote left_or_right=“right“][su_youtube url=“https://www.youtube.com/watch?v=sbMoTdr1k1Y“ responsive=“no“]https://www.youtube.com/watch?v=owdaL2meM-w[/su_youtube][/su_pullquote]

Selbstredend bietet das Werk ausreichend Futter für Fans des harten Klangs. Da ist das höllische Inferno von Waste – astreiner und abgründiger Black Metal. Oder das groovige Servants, das sich mit schweren Stiefeln stampfend bereits als ein Konzerthöhepunkt etabliert hat. Auch Fire Of Motion und Ship On Fire zielen auf das Herz der Metalheads.

Doch wenn es einen Preis für die mitreissendste Performance gäbe, würde kein Song Row Row das Wasser reichen können. Die rituelle Kraft des Repetitiven, der begehrende Rhythmus, das Poltern und Krachen. Nie war Metal tanzbarer, ohne dem Pop zu verfallen.

«Wir brauchen Blut für den neuen Gott»

Es wäre kein Problem über jeden einzelnen Song auf Stranger Fruit einen eigenen Artikel zu schreiben. Jedes Stück ist ein Unikat, und doch wirkt das Album in sich geschlossen und um Welten konsistenter als Devil Is Fine. Das scheint paradox, doch Zeal & Ardor haben diese immense Herausforderung gemeistert.

Sie spielen den Ball nun ihrem Auditorium zu: Es ist kein leichtes Hörerlebnis. Stranger Fruit verlangt mit seiner Präsenz und seiner Vielfalt absolute Aufmerksamkeit. Selbst innerhalb der Songs lässt die Band einen nicht in Entspannung fallen: We Can’t Be Found wechselt praktisch in jeder Strophe die Stilrichtung und überrascht sogar mit deutschen Lyrics.

Manuel Gagneux und Zeal & Ardor überraschen den Zuhörer immer wieder. Bild: Matthias Willi

Unbeständigkeit als Konstante

Stranger Fruit ist ein kurioses Labyrinth, in dem Zeal & Ardor immer einen Schritt voraus sind. Sie lauern hinter der nächsten Ecke um mit einen erneut mit einer Idee zu konfrontieren. Nichts symbolisiert diese Konstante des Unbeständigen mehr, als die Erwartungshaltung, die das pathetische Coagula als zweitletzter Track aufbaut. Gefolgt vom wohl weitesten und poppigsten Song, den Zeal & Ardor auf dem Album präsentieren: der dritten Vorab-Single Built On Ashes.

Ausgehend von der simplen Formel «Metal + x» erkunden sie die Möglichkeiten des Sounds. So einfach dies auch scheinen mag: Die Resultate ihrer Forschung sind facettenreich. Als Zuhörer bleibt einem manchmal nicht mehr, als fassungslos mitanzuhören, in welches Wagnis sich die Band da stürzt. Und Erleichterung lässt die Gewichte abfallen, wenn man realisiert, dass Zeal & Ardor genau wissen, welche Mauern sie sprengen können. Stets ist die Leidenschaft zu spüren – und der Wille, sich nicht auf Lorbeeren auszuruhen, sondern sich immer weiterzutreiben.

Was Zeal & Ardor in Devil Is Fine als Blaupause andeuteten, findet auf Stranger Fruit die Vollendung: Das Experiment steht im Mittelpunkt ihres Universums.

[display_review_meta]