Video-Premiere: «Grand Masquerade» von The Trouble Notes

Bild: Sacha Saxer

Grand Masquerade ist ein Kurzfilm zu einem schweren Thema. Mit einer Mischung aus Tanz, Pantomime und Theater wird erzählt, dass wir alle Masken tragen. Und was in einer Familie passiert, wenn jemand sie fallen lässt.

Die Szene spielt in einem altmodisch eingerichteten Wohnzimmer. Mit den Violinenklängen erscheint die erste Tänzerin, eine junge Frau in flatterndem Rock, auf deren Schultern ein Adlerkopf sitzt.

Sie ist ein kindlicher Vogel, mal elegant wie eine Ballerina, dann verspielt zappelnd. Die Tänzerin schwankt, als sie über den Rand des Sofas balanciert. Dann springt der Vogel, um kurz zu fliegen: Ein spielendes Horus-Kind.

Zwei weitere Figuren mit Adlerköpfen betreten das Zimmer. Über die Gestik wird schnell klar, dass der Adler im Jupe die Mutter ist, die ihre Tochter ob ihrer zerzausten Erscheinung rügt. Den Akteur in Männerkleidung interpretiere ich zuerst als Vater. Er setzt sich an eine angespielte Schachpartie, während die beiden Frauen beginnen, das Zimmer  zu putzen. Während die Mutter elegant (und etwas steif) mit dem Staubsauger herumtanzt, reisst das Mädchen die Vorhänge auf tanzt mit dem Licht. Die Mutter telefoniert mittlerweile, und die Tochter geht zu dem Mann, um ihn von der Solo-Schachpartie abzulenken.

Als die Nacht hereinbricht, senkt sich angespannte Hektik über die kleine Familie. Die Tochter wird zur Ruhe ermahnt, dann setzt das Schlagzeug ein, und ein autoritärer Adler taucht auf. Die Fernbedienung betätigt er, als würde er den Hitlergruss machen, die Frauen wuseln devot um ihn herum, um das Abendessen zu servieren. Der Sohn mimt mit verschränkten Armen den mürrischen Teenager.

Das Essen wird von Gesten eingeleitet, die irgendwo zwischen rituell und tanzend liegen. Kurz picken drei Adlerköpfe im schnellen Beat ihre Körner, dann springt die Tochter auf. Einen Moment tanzt sie auf dem Tisch, die Lampen im Raum blinken im Rhythmus. Aus dem Disco-Licht wird schnell gestörtes Flackern. Der Teenager hat einen Wutanfall, sie wischt den Tisch mit tanzendend Tritten leer. Die Mutter ist entsetzt, der Vater wütend.

Die Tochter springt über das Sofa. Erst denke ich, sie will sich in die Freiheit tanzen, raus aus der steifen Struktur ihrer Familie, doch sie kommt zurück und hält den dreien auf dem Sofa eine Rede voller emotionaler Geste: Apell, Standpauke, Aufschrei.

Immer wilder werden ihre Bewegungen, bis sie krampfend auf dem Boden liegt. Die Geste gilt als typisch für hysterische Frauen, eine Diagnose, die um die Jahrhundertwende oft gestellt wurde. Die Symptome der Hysterie lassen sich heute verschiedenen Krankheiten zuordnen, von Epilepsie bis Borderline-Störung.

Erst als die Tochter aufspringt und sich die Adlermaske vom Kopf reist, reagiert die Familie. Der Vater stampft wütend aus dem Raum, die Mutter rauscht ihm hinterher, der Sohn ist verwirrt. Die Tochter bleibt zurück. Sie setzt sich die Maske wieder auf und setzt sich vor den Fernseher. Dass die Musik verstummt ist, merke ich erst nach einem Moment.

Mit ihrem Video erzählen The Trouble Notes eigentlich zwei Geschichten. Die eine ist die der Frau, die ihre Freiheit unterdrücken muss, weil sie in einem patriarchalischen System lebt. Wenn die Frau dann für ihre Gleichberechtigung kämpft, wird sie als krank wahr genommen.

Die zweite Geschichte ist die, dass wir – unabhängig von Geschlecht oder gesellschaftlichem Kontext Masken tragen. Die Maske ist eine Mischung aus dem, was wir zu sein glauben, und dem, was wir sein wollen. Die Maske ist eine Definition, die uns unseren Platz im Allmanach aller Menschen gibt. Wenn wir die Maske abnehmen, werden wir selber ein ganzes Buch.

Und das überfordert. Uns selbst, und unsere Umfeld. Also tragen wir Masken.

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Das in Berlin beheimatete Trio The Trouble Notes besteht aus dem amerikanischen Geiger Bennet Cerven, dem Gitarristen Florian Eisenschmidt aus Braunschweig und dem aus London stammenden Percussionisten Oliver Maguire. Auch wenn ihre Stücke allesamt ohne Text daher kommen, schaffen sie es dennoch, eine Geschichte zu erzählen. In Zusammenarbeit mit der Regisseurin Lara Calenza entstand ein nicht alltägliches Video, das den Zuschauer herausfordert, sich seine eigenen Gedanken zum Thema Maskerade zu machen.