White Lies schlagen mit «Five» ein starkes Kapitel auf

Bild: zvg

Die White Lies öffnen mit ihrem fünften Album «Five» ein neues Kapitel. Der Sound ist variantenreicher, satter und mitreissender denn je.

Es begann 2007 im Londoner Stadtteil Ealing. Charles Cave, Jack Lawrence-Brown erschufen zusammen mit Harry McVeigh die Band Fear of Flying. Aus dem Hobby entstand ein Projekt mit ernsthaften Ambitionen, nachdem die drei ihre Schulzeit hinter sich gebracht hatten: Vorhang auf für die White Lies.

Zwei Jahre nach der Gründung erschien das erste Album: To Lose My Life… schlug ein wie eine Granate. Die gleichnamige Leadsingle oder Unfinished Business oder Farewell To The Fairground – die Platte ist gespickt mit zeitlosen Hymnen. Beinahe über Nacht wurde das Trio – zusammen mit den Editors – zur Speerspitze des Post-Punk-Revivals, das die Welt von Grossbritannien aus eroberte.

«Wir konzentrierten uns auf die Melodien»

2011 legten die White Lies mit Rituals nach – und trieben ihre hymnischen Qualitäten in Songs wie Bigger Than Us oder Bad Love auf die Spitze. Sänger und Gitarrist McVeigh erzeugte Sehnsucht und Melancholie. Die Düsternis des Post Punk durchdringt das Album.

Doch schon auf Rituals zeigte sich – zumindest retrospektiv – das grosse Dilemma der Band: Sie werden bis heute an den grössten Hits gemessen. Dabei war bereits Rituals ein variantenreiches Album: Neben den hochtrabenden Tracks findet sich auch das langsam stampfende, elektronisch dominierte Turn The Bells. Oder das balladeske Come Down. Nur in Erinnerung blieben diese starken Songs weniger als etwa ein Strangers.

Mit dem dritten Werk Big TV versuchten die White Lies den Bruch: Heller, poppiger und harmonischer. Vor allem aber rückten Post-Punk- und Rock-Elemente in den Hintergrund. Natürlich schimmerte die melodische Brillanz immer noch, doch nicht mehr im dreckigen Untergrund, sondern in den Glamour-Schuppen der Achtziger. Bassist Charles Cave sagte 2013 im Interview mit Negative White: «Wir haben uns nicht gross um den Sound gekümmert, sondern konzentrierten uns auf das Songwriting und die Melodien. Es ist vor allem die Melodie der Stimme, die Big TV von den anderen Alben unterscheidet.»

Emanzipation vom Post Punk

Die musikalischen Tendenzen, die White Lies auf Big TV erforschten, perfektionierten sie dann auf Friends (2016). Mit 14 Songs ist es das umfangreichste Album. Ihr Markenzeichen bewahren sie: Es finden sich mitreissende Melodien auf Friends. Im Kaufleuten lieferten sie im November 2016 eine perfekte Rockshow ab und bewiesen den Kritikern: Die neuen Songs funktionieren, fügen sich nahtlos zwischen die alten Kracher ein. Und doch war mit der Scheibe klar, dass die White Lies definitiv über die süffige Melancholie des Post Punks hinaus gewachsen sind.

Harry McVeigh im Kaufleuten. Bild: Janosch Tröhler

Am 1. Februar erscheint das fünfte Album der White Lies – simpel Five benannt. Neun Songs finden Platz. Schon Time To Give, der Opener und die erste Single, demonstriert Selbstvertrauen. Eine über sieben Minuten dauernde, sphärische Einführung. Die Melodie wird fast im Alleingang durch McVeighs Gesang gestemmt.

Time To Give ist kein leichter Einstieg, man muss sich Five etwas «verdienen». Dann beginnt ein Feuerwerk. Mit Never Alone ist der Post Punk in moderner Fassung zurück – schnell und treibend wie eh und je. Finish Line überrascht mit einem Akustikgitarren-Intro, wandelt sich zur kräftigen Ballade. Das Trio macht unverblümt weiter: Kick Me ist zwar ebenso schleichend wie Finish Line, doch kokettiert mit Country und Americana.

Nach den ersten vier Songs hat einem das Album in vier komplett unterschiedliche Ausprägungen der White Lies geworfen. Ist das ein genialer Schachzug – oder zerfleddert das Album? Das ist die grosse Frage von Five.

Als fünfter von neun Songs ist die Single Tokyo das Herz. Und was für eins! Hier fliesst die ganze Kunst der Band zusammen. Weitläufig, sehnsüchtig, voller Groove. Die 80er-Jahre schimmern warm durch den Sound, die Melodie mitreissend.

Mit Jo drückt das Trio das Gaspedal voll durch. Die Gitarren schlingern scharf um die Kurve. Die Rock-Attitüde ist so präsent wie selten in ihrem Sound. Wuchtig konnten ihre Songs immer sein, aber Jo fühlt sich anders an. Denial bremst das hohe Tempo, aber der Refrain ist überschwänglich und hochtrabend wie bei To Lose My Life. Und wieder zeigen sich die kantigen Gitarren.

Believe It schafft wieder Kontrast mit seinem markanten Synthesizer-Bogen. Erfrischend monoton singt McVeigh. Nochmals zeigen sich die 80ies in voller Pracht. Mit dem repetitiven «Believe it» im Refrain erzeugen die White Lies eine peitschende Dringlichkeit. Fire And Wings beschliesst Five als wohl sperrigster aller Songs. Ein Fanal, das in Stille zusammenbricht und dann wieder krachend explodiert wie ein Vulkan.

Ein neues Kapitel

Zurück zur Frage, die sich mit Five unweigerlich stellt: Fällt das Album auseinander? Nein.

Die White Lies haben immer mit Variationen gearbeitet. Dafür muss man sich bloss The Price of Love von To Lose My Life oder Peace & Quiet von Rituals anhören. Doch mit Big TV und Friends definierte die Band die Grenzen ihres Sounds neu. Deswegen fallen die Facetten auf Five deutlicher aus. «Das Album ist ein Meilenstein für uns. Es markiert die Dekade unserer Band, was uns dazu getrieben hat, unseren Sound zu erweitern. Wir haben künstlerisch neues Territorium erreicht», sagt die Band. Five sei der Start eines neuen Kapitels.

Tatsächlich ist Five um ein Vielfaches stärker als Friends. Selbst wenn der Sound stark variiert: Die frischen Songs sind in sich allesamt auf einem Niveau, das die Band auf dem Vorgängern nur manchmal erreicht. Die Arrangements sind dicht gestrickt, die Melodien raffinierter, unerwarteter. Da sind gekonnte Brüche eingeflochten. Dicke Schichten verleihen den Tracks einen satten Sound – und ermöglichen immer wieder neue Entdeckungen bei Hören.

Oder kurz: Five ist ein grandioses Album.

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