Die Jukebox, die Überraschungstüte

Bild: zvg

Sechs Stimmen und eine grosse Band: Scott Bradlee’s Postmodern Jukebox brachte ein Überraschungspaket nach Zürich. Das blies die Zuhörer zuweilen richtiggehend weg.

Postmodern Jukebox – oder kurz PMJ –, das ist ein sehr eigenwilliges Projekt. Das musikalische Konzept ist eigentlich simpel: eine Jazzband schnappt sich Pop-Songs und macht daraus Jazz-Songs. Das haben früher Bands wie Ekseption schon mit Bach oder Beethoven gemacht und die Schose als Modernisierung verstanden. Jetzt läufts in die umgekehrte Richtung und ist eher eine Vintageisierung. Allerdings – und das ist dann wieder wahnsinnig modern – funktioniert die PMJ praktisch ausschliesslich über die Social-Media-Kanäle. Wöchentlich gibts ein neues Live-Video irgendeines Songs auf Youtube, mal von Beyoncé oder Ed Sheeran, mal von Radiohead oder den Foo Fighters.

Und PMJ hat noch ein paar andere Tricks auf Lager. Die Band kann etwa am selben Abend in Zürich und in Rio de Janeiro spielen. Denn die Zusammensetzung der Combo, die letztlich auf der Bühne steht, ist relativ zufällig. PMJ ist ein Pool von Musikern, die man wild durcheinandermischen kann. Der Ursprung des Pools ist ein New Yorker Pianist namens Scott Bradlee. In dessen Apartement entstehen die meisten Videos der Band.

Wo ist Scott?

Eigentlich wirbt der Veranstalter des Konzerts im Zürcher Volkshaus mit dem Gründernamen: Scott Bradlee’s Postmodern Jukebox. Und der einzige Musiker der Band, der auf der Website des Veranstalters als anwesend gelistet ist, heisst Scott Bradlee.

Nur steht – oder vielmehr sitzt – der Mann nicht in Zürich auf der Bühne, sondern eben irgendwo in Südamerika. Und an seiner Stelle ist da eine Art Double, ein Pianist, der fast gleich aussieht, bloss einen dunkleren Teint hat. Von den Gründungsmitgliedern des Projekts ist heute lediglich Kontrabassist Adam Kubota zugegen. Dazu gibts Klarinette, Posaune sowie die klassische Rhythm Section einer Jazzband: Also Schlagzeug, Gitarre, Bass, Klavier.

Und dieser Tross beginnt mit einem Schuss Pathos ein paar Akkorde zu spielen. Dickes Crescendo und dann kommt Coonio. Das ist ein glatzköpfiger Mann im Silberanzug, der sich ein bisschen Gigolo-mässig inszeniert und mit kreischender Steven-Tyler-Stimme eine Referenz an die Blues Brothers über den Akkord singt. Von dort aus gehts direkt zur verswingten Version des Jacko-Klassikers Thriller.

Metal-Stimme, Jazz. Das passt mittelprächtig. Man hofft innerlich, dass das jetzt nicht den ganzen Abend so weitergeht – und wird nicht enttäuscht. Und das sozusagen im Fünfminutentakt: Bon Jovis You give love a bad name singt eine zierliche junge Sängerin mit R’n’B-Pop-Stimme. Für Beyoncés Single Ladies tänzelt eine üppige Diva mit roten Haaren und Jessica-Rabbit-Kleid auf die Bühne und bläst das Publikum mit ihrer Jazz-Soul-Röhre schlicht weg.

So viele Stimmen

Und nun denkt man, das sei jetzt doch eine schöne Auswahl an Gesangstalent, als der breitschultrige Mario Jose mit seinem hochdramatischen Latino-Pop-Organ Sam Smiths I’m not the only one ins Publikum donnert. Das sei übrigens sein letzter Auftritt mit der PMJ sagt Coonio und schickt eine weitere Sängerin auf die Bühne, die derweil ihren einzigen Auftritt mit der Combo hat, weil sie in Zürich lebt. Nach ihr kommt noch eine Sängerin, sie ist die sechste Solostimme des Abends, und dann glaubt man, alles gesehen zu haben – inklusive eines Stepptänzers.

Ein weiterer Irrtum. Eigentlich beginnt die Sache jetzt erst richtig. Die Stimmen werden vermengt. Zu Paula Abduls Straight Up ziehen drei Sängerinnen eine hübsche Saloon-Show auf. Und zu Radioheads No Surprises stellt sich plötzlich die Klarinettistin hinters Mikro und bringt eine der berührendsten Performances des Abends auf die Bühne.

PMJ verfolgt nur ein Ziel: Es darf keine Sekunde lang langweilig werden. Das ist teils richtig frech. Etwa mit der Version von Britney Spears‘ Toxic oder Justin Biebers Where are you now. Die Band zwingt das durchaus anspruchsvolle Publikum, Songs zu hören, bei denen es üblicherweise das Radio ausschalten würde. Nun sind das plötzlich erstaunlich gute Lieder – und niemand käme auf die Idee, dass sie aus der amerikanischen Billig-Pop-Maschinerie stammen.

Das gelingt allerdings nicht in jedem Fall. Kelly Clarksons Since u been gone etwa bleibt auch im PMJ-Kleid furchtbar banal. Die Version schafft es nicht übers Level geshuffelten Happy-Pops mit Bläsern hinaus. Selbiges gilt für die Zugabe Shake it off von Taylor Swift. Das sind kurze Momente, in denen die menschliche Jukebox zu spiessig und brav daherkommt.

Umgekehrt denkt man sich dann aber auch, dass ein solches Projekt guten Songstoff wie Radioheads Creep besser nicht anrühren sollte. Tut sie aber und das gut. Die an Doo Wop angelehnte, hochdramatische Sechsachtel-Version des Songs ist der Höhepunkt der Show. Und der Schlusspunkt. Spätestens jetzt hat man vergessen, dass da kein Scott Bradlee sitzt. Und dass man genau genommen zu Beginn keine Ahnung hatte, was man von dieser Band bekommen und ob es sich auszahlen würde. Aber ersters ist jetzt auch nicht mehr relevant und letzteres kann man diesem sonderbaren Projekt kopfnickend attestieren.