Ein Trip nach New York verschlägt Negative-White-Journalist David Kilchör in einen Plattenladen im Greenwich Village. Der hat es in sich.
«Kaufst du die Platte, kriegst du die Geschichte.» Mit diesen Worten entlässt mich John – nennen wir ihn so, weils sein Name sein könnte – aus dem kleinen Plattenladen in einer unscheinbaren Ecke eines Wohnquartiers in Greenwich Village in New York.
Etwa 30 Minuten davor: Ich ziehe die Ladentür auf und mache fast rechtsum Kehrt. Der Laden ist ein etwa sechs Meter langer Schlauch, links und rechts übersät mit Kisten voller Platten. Dazwischen stehen sich etwa fünf Kunden im knapp einen Meter breiten Korridor auf den Füssen herum. Da will ich nicht auch noch rein.
Eine innere Stimme sagt mir, dass ich es aber muss. Der Shop strahlt etwas Bedeutungsvolles vor dem Herrn des Rock’n’Rolls aus. Ich kanns rational nicht festmachen. Aber ich zwänge mich durch die Reihe und beginne mässig motiviert die Led-Zeppelin-Platten zu durchstöbern. Kein Fan, sorry.
Endlich verlässt einer der sperrigen Kunden den Laden – und die Bob-Dylan-Ecke wird frei. Dort wollte ich ohnehin hin. Dylan hat im Village gelebt. Vielleicht finde ich eine Platte, die ich noch nicht besitze und kann dann sagen: Ich hab ’ne Dylan im Village gekauft. Wer hat das schon?
Bloss nicht unkundig erscheinen
Als ich The Freewheelin‘ Bob Dylan in den Händen halte – die mir tatsächlich fehlt und deren Coverfoto offenbar irgendwo hier herum entstand – streift Verkäufer John an mir vorbei und murmelt: «Das Bild ist grad hier entstanden.»
«Weiss ich doch», sag ich klugscheisserisch. Man will ja nicht unkundig erscheinen in solch einer Ecke.
Ich stöbere ein bisschen weiter, schnappe noch eine Velvet Underground und eine Paul Simon, dazu besagten Dylan und mache mich zur Kasse. Da leuchten die Augen von John auf.
«Weisst du», nimmt er erneut Anlauf, um sich zu diesem Plattencover zu äussern. «Das Bild entstand direkt vor der Tür hier.»
Jetzt hat er meine volle Aufmerksamkeit. «Also wirklich da vorn?»
Selbe Tür.
Er: «Komm mal mit.» Er greift nach einem Original der Platte hinter der Kasse. In deren Plastikhülle stecken einige alte Fotos. Wir gehen raus auf die Strasse.
«Siehst du die Tür da links drüben?» Er zieht ein Foto raus, das Dylan in derselben Kluft wie im Plattencover aber vor einer Tür zeigt. «Selbe Tür.»
Na ja, so sehen noch viele Türen aus, denk ich mir. Aber John hat mehr Beweise zur Hand.
«Die vier Diamanten dort oben», er zeigt auf eine Hauswand zu seiner Rechten. «Die sind da in der Unschärfe auf dem Cover.» Ein Gebäude weiter hinten sei abgefackelt. Sonst sei alles gleich – nur Bäume habe es damals keine gegeben.
Ich nicke anerkennend. Sieht schon recht ähnlich aus.
Eine Teenagerin aus Portugal und ihre Mutter gesellen sich zu uns. Sie wollen die Geschichte auch hören. Die Mutter sagt: «Das war hier?» Und John nickt. «Die Frau auf dem Cover, ist das Joan Baez», will die Mutter wissen.
Natürlich ist das nicht Joan
Empört schnappen die Teenagerin und ich nach Luft, aber John lässt uns nicht zu Wort kommen. Natürlich ist das nicht Joan Baez. Erstens sieht man das. Und zweitens weiss man das. Auf diesem Plattencover steckt eine ganz andere Geschichte.
John erzählt sie ausführlicher, als wir es gekonnt hätten. Die junge Frau an Bobbys Arm ist Suze Rotolo, Dylans Ex-Freundin. Erst seien die beiden zusammengekommen, doch die Eltern von Suze hätten Bobby nicht gemocht. «Suze wuchs hier im Village in einem sehr politischen Elternhaus auf. Left-Wing-Demokraten», erzählt John. Es klingt so, als hätte er die Leute gekannt.
«Die meisten Fans glauben, Bob sei ein sehr politischer Mensch, ist er aber nicht. Politik ist ihm egal.» Deshalb seien Suzes Eltern gegen die Beziehung gewesen. «1962 ging Suze dann nach Italien für ein halbes Jahr. Das war die erste Trennung. Doch sie kam zurück, Bobby und sie wurden wieder ein Paar – damals entstand auch dieses Bild – dann verliess sie ihn letztlich doch, weil ihr seine Karriere zu stressig wurde.»
John erzählt die Geschichte beiläufig, als hätte er sie miterlebt. Hat er vermutlich nicht – den Shop hier gibts seit 1973, das Plattencover entstand zehn Jahre davor. Wir anderen drei hängen John trotz dieser Vermutung an den Lippen.
John steckt die Fotos zurück in die Plastikhülle. Als ich bezahlen will, fragt er, ob ich den Film Inside Llewyn Davis kenne – und deutet mit einer fast unmerklichen Kopfbewegung zu einer Schallplatte hinter seiner Kasse, die direkt neben Dylans Cover steht.
Es ist eine Best-of von Dave van Ronk, der seine Karriere parallel zu Dylan aufzubauen versuchte, es aber nie aus dessen Schatten schaffte. Ich sage ihm das. «Kaufst du die Platte, kriegst du die Geschichte», sagt John, als ich den Plattenladen verlasse.
[su_box title=“Record Runner“ box_color=“#dd0505″ radius=“0″]Wer die Geschichte will: Der Plattenladen heisst Record Runner und liegt an der Jones Street im New Yorker Greenwich Village. Die Geschichte ist wahr. Die von mir erzählte, wie auch die von John erzählte. Und ein zweiter Plattenkauf ist nicht nötig, um auch die Geschichte von Inside Llewyn Davis zu hören. Dazu aber vielleicht ein anderes Mal.[/su_box]