Nels Cline, Gitarrist der amerikanischen Alternative-Rock-Band Wilco, schimpft im Interview über seine Heimat und spricht über Sanftheit und Irrisinn in der Musik.
Nels, ihr nennt das neue Wilco-Album Ode to Joy, dabei ist es eher nachdenklich. Weshalb der Name?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Frage adäquat beantworten kann. Die Idee kam von unserem Frontmann Jeff Tweedy und wir anderen von der Band fanden sie gut. Ironisch soll die Aussage des Albumtitels meines Erachtens nicht sein. Aber dem Inhalt der Songs soll der Titel schon widersprechen. Einfach unter einem ernsthaften Gesichtspunkt.
Wie meinst du das?
Wir leben in einer sehr verstörenden Zeit – zumindest hier in den USA. Das Album soll uns daran erinnern, dass das Leben durchaus Potenzial für Freude birgt, dass Freude existiert. Und wir wollen diesen Gedanken am Leben erhalten. Ich denke, das ist die Idee hinter dem Albumtitel. Aber vielleicht irre ich mich, vielleicht habe ich Jeff falsch interpretiert. Ich weiss nicht, ob das die letzte Wahrheit dahinter ist.
Ich schreibs so, dann wird es zur Wahrheit.
Haha. Mach das.
Aber sag mal, ihr tourt ja durch die ganze Welt. Holt euch dieses verstörende Gefühl überall ein?
Nein. Aber grundsätzlich birgt jedes Land, jeder Lebenskontext das Potenzial für Albträume oder zumindest grossen Ärger. Denn letztlich sind wir alle Menschen und dieses Böse steckt irgendwie in uns. Manchmal sind wir wie Tiere und lassen uns nur von unserem Instinkt leiten.
Gibt es Länder, deren politisches System du besser findest als jenes der USA?
Absolut. Länder mit einer sozialen Agenda, die Fairness und Gleichberechtigung anstreben, in denen sich ältere oder kranke Menschen keine existenziellen Sorgen machen müssen, wenn sie nicht allzu viel Geld besitzen. Die USA ist ein Staat, der seine Bewohner ausnutzt, der grausamen Richtlinien folgt.
Unser Land war nie so gut, wie es uns beigebracht wurde.
Wo wärs denn besser?
Japan zum Beispiel. Familienmitglieder von mir leben dort. Ich sage nicht, dass da alles perfekt ist. Auch Japan hat eine nationalistische, beunruhigende Energie. Aber die Realität des Landes basiert auf einer staatlich verankerten Fairness. Ich finde es furchtbar, wenn ein Land nur nach den Regeln von Geld, Macht und Dominanz funktioniert. Aber ich will dich nicht mit Politik vollquasseln.
So wie es klingt ist diese Sicht auf das eigene Land so etwas wie der Schlüssel zum Verständnis eures neuen Albums.
Das hat schon etwas. Wir untersuchen in der Tat dieses groteske Gesicht der USA. Ich habe mich in den vergangenen Jahren mehr und mehr in die Weltgeschichte und die Rolle der USA darin vertieft und ich stiess auf immer mehr Schichten der Enttäuschung. Teils war das Schock in Reinform.
Wie ist das gemein?
Ich wuchs mit einem tief verankerten Stolz für mein Land auf. Das ging vielen Amerikanern so. Unterdessen sehen wir Stück für Stück hinter die Kulissen und was dort für Bullshit läuft. Und das seit vielen Generationen. Unser Land war nie so gut, wie es uns beigebracht wurde.
Hast du das Gefühl, dass diese Ansätze in eurer Musik für euer Publikum spürbar werden?
Das kann ich nicht sagen. Aber offensichtlich machen wir Musik, die viele Zuhörer auf der ganzen Welt erreicht.
Ist sie so gut, weil eure Songs aus der Frustration und den negativen Gefühlen entstehen?
Die These ist leider nicht von der Hand zu weisen. Aber ich will sie nicht akzeptieren.
Wäre das denn so schlimm? Es ist ja eine allgemein akzeptierte Wahrheit, dass die besten Songs aus negativen Gefühlen entstehen.
Das stimmt schon – auf jeden Fall auch für mich. Trotzdem wünsche ich mir, dass das nicht die einzige Realität ist. Ich habs eigentlich gar nicht so mit der Realität, ehrlich gesagt. Ich bin ein todgeweihter Träumer – ein terminal dreamer.
Quiet Amplifier hat diese harten Drumschläge auf zwei und vier, was ihm das Gefühl eines strapaziösen Marsches gibt.
Todgeweihter Träumer – ich mag den Begriff.
Den hab ich jetzt grad erfunden. Ich bin mir zwar nicht sicher, ob er mein Wesen wirklich auf den Punkt bringt. Aber ich werde mir in den nächsten Tagen Gedanken dazu machen. Ich habe ja Zeit. Ich bin gerade in Köln.
Ah, mitten auf Tournee?
Ja, dann kommt Hamburg und weitere Deutsche Städte, schliesslich Zürich. Da sind wir recht gemütlich am Reisen, also habe ich auch Zeit zum Nachdenken.
Sprechen wir noch kurz übers neue Album Ode to Joy. Es beginnt recht leise und langsam, erst in der zweiten Hälfte kommst du dann richtig dick zum Zug, etwa in Hold me anyway mit dem Glamrock-Riff.
Das bin nicht mal ich auf dem Album. Das ist Jeff.
Weshalb Jeff?
Wir leben in recht verschiedenen Ecken der USA. Wenn wir ein Album aufnehmen, macht Jeff meist schon mal einiges selber im Sinne eines Platzhalters, bis wir da sind – damit wir wissen, wohin die musikalische Reise gehen soll. Er ist ein grossartiger Arrangeur. Jedenfalls spielt er auch immer wieder Gitarrenparts ein, die im Demo schon so gut sind, dass wir sagen: Weshalb sollen wir das jetzt nochmals aufnehmen? Mein Favorit ist der Song Quiet Amplifier.
Weshalb der?
Jeff hat dort auch die Leadgitarre gespielt, aber ich habe dafür Stunden an Rhythmus-Sachen eingespielt dafür. Was ich gemacht habe, ist aber nicht so relevant. Ich kann einfach nicht aufhören, den Song zu hören. Er hat diese harten Drumschläge auf Zwei und Vier, was ihm das Flair eines strapaziösen Marsches gibt. Er ist der Wahnsinn – nur leider noch nicht auf unserer Live-Setlist.
War der irre Solo-Part auf We were lucky der Teil der Aufnahmen, der dir am meisten Spass gemacht hat?
Uh ja, das war tatsächlich super. Und das bin dieses Mal auch wirklich ich selber. Für mich hat der Song etwas soundtrack-mässiges, mit einem rituellen Drumpad und einem Hintern wackelnden Rhythmus. Er ist auch noch nicht auf der Setlist. Aber der kommt sicher noch hinzu.
Dein Solo kommt als harter Kontrast daher. Es kreischt derart, dass es fast physische Schmerzen verursacht.
Ah spannend. An Schmerz dachte ich gar nicht aktiv. Zum Song passt der Gedanke dieses Kontrasts aber schon. Ich selber wollte eher wild Noten verspritzen – es war eine Art Sprüh-Gedanke, den ich hatte.
Ich versuche bei Wilco nicht überkreativ zu sein.
Eigentlich bist du Jazz-Gitarrist.
Naja, sowas in der Art zumindest. Wenn ich nicht bei Wilco spiele, dann gilt mein Sound als Jazz. Aber das ist kein Be-Bop oder so. Einfach improvisierte Musik.
Aber bringst du diese Seite bei Wilco in einer Form ein?
Nicht übermässig. Ich versuche bei Wilco auch nicht überkreativ zu sein. Mein Anspruch ist, dem Song zu dienen und das zu tun, was er fordert. Am ehesten bringe ich den Jazz in Form etwas schrägerer Akkorde ein, die einen Song teils auf unaufdringliche Weise spannender machen. Aber auch das passt nicht in jeden Song. Es gibt Kompositionen, die müssen einfach und geradlinig bleiben. Ich mache was Jeff will. Und der will manchmal ganz verrückte Sachen.
Was heisst das?
Sehr häufig will er, dass ich den Song komplett zerstöre.
Was bringt ihm das?
Er hört ihn dann mit anderen Ohren, spürt besser, was dem Song wirklich gut tut und was ihm schadet. Manchmal spiele ich stundenlang die irrsten Dinge ein und am Schluss landet praktisch gar nichts davon auf der Aufnahme. Das bedeutet aber nicht, dass ich für nichts gearbeitet habe. Manchmal geben meine Improvisationen dem Song auch eine ganz neue Richtung und beeinflussen den ganzen Sound. Entscheidend für den Song ist immer, dass er schön ist, sauber handgefertigt, dabei aber nicht zu simpel und zu klassisch.
Einer von euch hat mal gesagt, Avantgarde schliesse Schönheit nicht aus.
Ich war das nicht, das höre ich gerade zum ersten Mal. Vielleicht wars Jeff. Jedenfalls bin ich einig mit der Aussage. Avantgarde muss kein wilder Lärm sein. Wir machen auch nicht immer wilden Lärm. Aber auch.
Das meinst du jetzt auf eure Shows bezogen?
Genau. Wir machen alles, von sanft bis irr. Die Dynamik ist gigantisch.
Wilco spielen am Mittwoch, 18. September im Volkshaus Zürich