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Eine verrückte Nebensache namens Musik

Weshalb es das m4music aber trotzdem braucht

Das m4music Festival 2019 ist schon wieder Geschichte. Dabei steht für viele die Musik gar nicht so im Zentrum, wie man meinen könnte. Ein Erklärungsversuch, weshalb es den Anlass trotzdem braucht.

Es ist das schmutzige kleine Geheimnis des m4music Festivals: Die Musik ist eine Nebensache. Bevor jetzt die Fäuste erzürnt geschüttelt werden: Das ist vielleicht gar nicht so schlimm. Nein, vielleicht ist es sogar sehr gut.

Das m4music setzt sich zusammen aus drei Aspekten: Der Conference, wo in Panels, Workshops und Keynotes zahlreiche Themen des Musikbusiness erörtert werden. Dann ist da das Festival, an dem Künstler*innen aus dem In- und Ausland auftreten. Und zum Schluss gibt es noch die Demotape Clinic, die Newcomer eine Plattform und – wenn sie auch gut sind – etwas finanzielle Rückendeckung gibt.

Alles ganz schlecht

Das Problem ist: Die Conference richtet sich an die Professionals, also an jene, die auf der Business-Seite der Musik tätig sind. Doch wie bei 99 Prozent aller Konferenzen, kratzt man an der Oberfläche. Nehmen wir das Podium, an dem der Label-Verband IFPI Schweiz die Zahlen der Branche wiedergekaut hat. Erstaunliches brachte es kaum zutage. Wer sich interessiert, kannte die Torten- und Balkengrafiken bereits.

Ivo Sacchi, Fabienne Schmuki, Marc Lynn, Lorenz Haas, Philipp Albrecht, Markus Ganz und Andreas Hutter (v.l:) sprechen über die Zahlen. Bild: zvg

Dann ist da noch das Festival, die Konzerte. Da treten Künstler*innen auf, die sich bereits ein Renommée erspielt haben. Ohne Frage: Allesamt brillante Shows. Doch die Professionals vermögen hier kaum Neues zu entdecken. Immerhin können die geneigten Musikfreaks am m4music den ganzen «heissen Scheiss» bequem an zwei Abenden live erleben und ihre FOMO besänftigen.

Die Demotape Clinic ist ein wichtiges Gefäss. Sie kann frischen Acts tatsächlich helfen, auf ein neues Level zu kommen. Zu den Gewinner*innen der letzten Jahre gehören Jessiquoi, Audio Dope, Wolfman oder Rootwords. Doch selbst hier kann man kritteln, wenn in der Kategorie «Pop» beispielsweise Haubi Songs mit Kafi Togo oder Soybomb mit Cold Light am Start sind. Was heisst denn eigentlich noch Demotape? Diese – zugegeben grossartigen – Songs stammen von etablierten Künstlern, sind aufwändig produziert, haben Besprechungen erhalten. Ein Name wie «m4music Award» wäre wohl treffender. Oder ein strafferes Regelwerk angebracht.

Mehr als verdient: Asbest gewinnen die Demotape Clinic in der Kategorie Rock und die «Demo of the Year». Bild: zvg

Die Magie dazwischen 

Nun, das klingt jetzt alles ziemlich desaströs. Trotzdem verpasse ich das Ganze sehr ungern. Und auch für die zeitgenössische Musikbranche ist klar: Das m4music ist Pflichtprogramm. Aber weshalb?

Zwischen den Panels, dem sonderbaren Setting der Demotape Clinic und den Konzerten entsteht die eigentliche Magie. Da steht man Schulter an Schulter mit einer jungen Band an der Bar – oder halt Marc Lynn von Gotthard. Da zwängt man sich durch die Label-Leuten, Musiker*innen und Medienmenschen. Das m4music ist ein grosser Laufsteg und eine riesige Dinner-Party. Dort, mitten im Gewusel, werden Kontakte geknüpft, wird Klatsch ausgetauscht und angeregt diskutiert. Dort schimmern die tauchbaren Perlen.

Also stehe ich mit Bier bewaffnet in der Menge, schmiede Pläne, die ich doch nicht einhalten kann, weil man schlicht keinen Meter weit kommt, ohne ein bekanntes Gesicht zu sehen – und sich plötzlich in einer Diskussion wiederzufinden.

Am besten ist es, man lässt sich einfach treiben und das Spannende findet einen: Oder hast du schon mal vom ROAM Festival in Lugano gehört? Dort spielen dieses Jahr Metronomy, Apparat und die White Lies.

Steiner & Madlaina im Moods. Bild: zvg

Manchmal spült einen mich der Fluss dann doch vor eine Bühne. Es sind allesamt brillante Shows. Ikan Hyu donnern Mark und Bein erschütternd über den Platz vor dem Schiffbau, Steiner & Madlaina reissen das Moods mit ihrer Raffinesse mit, Frank Carter eskaliert mitten im Publikum. Und die Temples katapultieren die grosse Halle in psychedelische Sphären.

Frank Carter nimmt ein Bad in der Menge. Bild: zvg

Die Konzerte, die Conference verbleichen trotzdem schnell wieder. Sie erfüllen bloss den Zweck der «conversation starters», sind einfach Stichwortgeber: Wie fandest du den Gig? Was hältst du von der Sache da auf dem Podium? Die Prämisse, dass die Musik tatsächlich eine Nebensache ist, wird mir immer wieder bestätigt von Anwesenden aus der Branche. «Es ist halt ein Klassentreffen», meint der eine. Ein anderer sagt: «Man steht mit allen sowieso im Kontakt, aber hier trifft man sich persönlich, trinkt und tratscht.» Eine ganz böse Zunge behauptet sogar: «Man belächelt die Swiss Music Awards immer als oberflächlichen Event, dabei ist das m4music genau gleich – einfach für die Indie-Szene.» Der Vergleich ist etwas dramatisch.

Die Verschaufpause

Bei aller Kritik gibt es eine bedeutende Hauptsache: Das m4music macht einfach Spass. Die Musikbranche, insbesondere die Indie-Sparte kämpft mit grossen Herausforderungen. Die Umwälzungen im Markt sind längst nicht abgeschlossen. Deshalb ist es nicht schlimm, wenn die Musik und das Business nur Nebensache sind. Was das m4music bietet, ist eine kurze Verschnaufpause von einem von Deadlines, Mails und Sorgen geprägten Alltag. Das m4music schafft Raum für Beziehungspflege, für das Zwischenmenschliche. Und das ist eine ebenso wichtige Funktion.

Einfach mal entspannen. Bild: zvg

Alle Bilder: Alessandro Della Bella und Ennio Leanza